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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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Joseph hielt inne, und auch Jenny schwieg.
Endlich fragte sie leise: "Und was soll aus
mir werden? Was soll ich beginnen?"

Joseph, der neben ihr auf dem Divan saß,
zog sie sanft an sich und sagte mit dem mil-
desten Tone, dessen seine Stimme fähig war:
"Du sollst Dich prüfen, ob Du ohne Reinhard
nicht glücklich zu sein vermagst, denn nur ihn
suchst Du im Christenthume. Du sollst prü-
fen, mein Kind! ob Reinhard Dir eine so feste
Stütze im Leben sein wird, als die Deinen?
Reinhard ist gut und brav, aber ich fürchte,
Ihr Beide werdet Euch niemals verstehen -- und
am Ende wirst Du Deinem Herzen folgen.
Das allein entscheidet zuletzt das Schicksal der
Frauen. Gott gebe, daß Dein Herz Dich nicht
trügt!"

Bei diesen Worten küßte Joseph die Stirne
des Mädchens, das, ebenso ergriffen als ver-
schämt, den Kopf an seiner Schulter verbarg,

Joſeph hielt inne, und auch Jenny ſchwieg.
Endlich fragte ſie leiſe: „Und was ſoll aus
mir werden? Was ſoll ich beginnen?“

Joſeph, der neben ihr auf dem Divan ſaß,
zog ſie ſanft an ſich und ſagte mit dem mil-
deſten Tone, deſſen ſeine Stimme fähig war:
„Du ſollſt Dich prüfen, ob Du ohne Reinhard
nicht glücklich zu ſein vermagſt, denn nur ihn
ſuchſt Du im Chriſtenthume. Du ſollſt prü-
fen, mein Kind! ob Reinhard Dir eine ſo feſte
Stütze im Leben ſein wird, als die Deinen?
Reinhard iſt gut und brav, aber ich fürchte,
Ihr Beide werdet Euch niemals verſtehen — und
am Ende wirſt Du Deinem Herzen folgen.
Das allein entſcheidet zuletzt das Schickſal der
Frauen. Gott gebe, daß Dein Herz Dich nicht
trügt!“

Bei dieſen Worten küßte Joſeph die Stirne
des Mädchens, das, ebenſo ergriffen als ver-
ſchämt, den Kopf an ſeiner Schulter verbarg,

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[168/0180] Joſeph hielt inne, und auch Jenny ſchwieg. Endlich fragte ſie leiſe: „Und was ſoll aus mir werden? Was ſoll ich beginnen?“ Joſeph, der neben ihr auf dem Divan ſaß, zog ſie ſanft an ſich und ſagte mit dem mil- deſten Tone, deſſen ſeine Stimme fähig war: „Du ſollſt Dich prüfen, ob Du ohne Reinhard nicht glücklich zu ſein vermagſt, denn nur ihn ſuchſt Du im Chriſtenthume. Du ſollſt prü- fen, mein Kind! ob Reinhard Dir eine ſo feſte Stütze im Leben ſein wird, als die Deinen? Reinhard iſt gut und brav, aber ich fürchte, Ihr Beide werdet Euch niemals verſtehen — und am Ende wirſt Du Deinem Herzen folgen. Das allein entſcheidet zuletzt das Schickſal der Frauen. Gott gebe, daß Dein Herz Dich nicht trügt!“ Bei dieſen Worten küßte Joſeph die Stirne des Mädchens, das, ebenſo ergriffen als ver- ſchämt, den Kopf an ſeiner Schulter verbarg,

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/180>, abgerufen am 21.11.2024.