korn einst herabgekommen? Ja! sagte mein Vater, und dies Freiwerden nennt man Sterben!"
"Eine artige Allegorie", unterbrach sie der Pfarrer jetzt, "aber das will Christus nicht. Wir sollen nicht spielen mit Dem, was das Heiligste ist; wir sollen es mit Ernst erfassen, mit jenem Ernste, der Christus am Kreuze sterben machte für uns."
"Das sagt auch Reinhard", stimmte Jenny bei. "Ich soll das Leben mit Ernst betrachten, und ich selbst fühle das Bedürfniß, seit ich Reinhard kenne und empfunden habe, daß es auch dunkle Stunden in unserm Dasein gibt. Glauben Sie mir, wenn ich an die Möglich- keit dachte, von Reinhard, dem ich so unauf- löslich gehöre, für das ganze Leben getrennt zu sein, dann reichte der fröhliche Glaube mei- ner Jugend nicht aus. Ich verlangte darnach, einen Ersatz zu finden, der mich schadlos halte
korn einſt herabgekommen? Ja! ſagte mein Vater, und dies Freiwerden nennt man Sterben!“
„Eine artige Allegorie“, unterbrach ſie der Pfarrer jetzt, „aber das will Chriſtus nicht. Wir ſollen nicht ſpielen mit Dem, was das Heiligſte iſt; wir ſollen es mit Ernſt erfaſſen, mit jenem Ernſte, der Chriſtus am Kreuze ſterben machte für uns.“
„Das ſagt auch Reinhard“, ſtimmte Jenny bei. „Ich ſoll das Leben mit Ernſt betrachten, und ich ſelbſt fühle das Bedürfniß, ſeit ich Reinhard kenne und empfunden habe, daß es auch dunkle Stunden in unſerm Daſein gibt. Glauben Sie mir, wenn ich an die Möglich- keit dachte, von Reinhard, dem ich ſo unauf- löslich gehöre, für das ganze Leben getrennt zu ſein, dann reichte der fröhliche Glaube mei- ner Jugend nicht aus. Ich verlangte darnach, einen Erſatz zu finden, der mich ſchadlos halte
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korn einſt herabgekommen? Ja! ſagte mein
Vater, und dies Freiwerden nennt man
Sterben!“
„Eine artige Allegorie“, unterbrach ſie der
Pfarrer jetzt, „aber das will Chriſtus nicht.
Wir ſollen nicht ſpielen mit Dem, was das
Heiligſte iſt; wir ſollen es mit Ernſt erfaſſen,
mit jenem Ernſte, der Chriſtus am Kreuze
ſterben machte für uns.“
„Das ſagt auch Reinhard“, ſtimmte Jenny
bei. „Ich ſoll das Leben mit Ernſt betrachten,
und ich ſelbſt fühle das Bedürfniß, ſeit ich
Reinhard kenne und empfunden habe, daß es
auch dunkle Stunden in unſerm Daſein gibt.
Glauben Sie mir, wenn ich an die Möglich-
keit dachte, von Reinhard, dem ich ſo unauf-
löslich gehöre, für das ganze Leben getrennt
zu ſein, dann reichte der fröhliche Glaube mei-
ner Jugend nicht aus. Ich verlangte darnach,
einen Erſatz zu finden, der mich ſchadlos halte
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/312>, abgerufen am 22.11.2024.
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