tigkeit Gottes preiszugeben, den unsere Re- ligion lehrt"
"Das begehre ich auch nicht," sagte Jenny, noch immer in freudiger Aufregung. "Ich weiß, Gott ist -- und er sandte Christus, der mehr als wir, mehr als Mensch, aber doch nicht dem Schöpfer gleich war, zu uns, um uns zu belehren; und wenn ich an Gott glaube, und zu ihm und Christus bete, und ihnen ver- traue, dann wird mir der Beistand des heiligen Geistes nicht entgehen." -- Der Pfarrer schüt- telte bedenklich das Haupt und sprach ernst: "Es mag Ihnen leichter werden, sich in diese Vorstellung hineinzudenken, als an die Verkör- perung, das Menschwerden eines rein geistigen Wesens zu glauben. Und doch ist Ihre Ansicht verwerflich; denn sie ist das erste Hinneigen zur Vielgötterei. Christus ist nach ihr ein Halbgott, und es werden zwei Wesen der Ver- ehrung hingestellt, während die christliche Re-
tigkeit Gottes preiszugeben, den unſere Re- ligion lehrt“
„Das begehre ich auch nicht,“ ſagte Jenny, noch immer in freudiger Aufregung. „Ich weiß, Gott iſt — und er ſandte Chriſtus, der mehr als wir, mehr als Menſch, aber doch nicht dem Schöpfer gleich war, zu uns, um uns zu belehren; und wenn ich an Gott glaube, und zu ihm und Chriſtus bete, und ihnen ver- traue, dann wird mir der Beiſtand des heiligen Geiſtes nicht entgehen.“ — Der Pfarrer ſchüt- telte bedenklich das Haupt und ſprach ernſt: „Es mag Ihnen leichter werden, ſich in dieſe Vorſtellung hineinzudenken, als an die Verkör- perung, das Menſchwerden eines rein geiſtigen Weſens zu glauben. Und doch iſt Ihre Anſicht verwerflich; denn ſie iſt das erſte Hinneigen zur Vielgötterei. Chriſtus iſt nach ihr ein Halbgott, und es werden zwei Weſen der Ver- ehrung hingeſtellt, während die chriſtliche Re-
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tigkeit Gottes preiszugeben, den unſere Re-
ligion lehrt“
„Das begehre ich auch nicht,“ ſagte Jenny,
noch immer in freudiger Aufregung. „Ich
weiß, Gott iſt — und er ſandte Chriſtus, der
mehr als wir, mehr als Menſch, aber doch
nicht dem Schöpfer gleich war, zu uns, um
uns zu belehren; und wenn ich an Gott glaube,
und zu ihm und Chriſtus bete, und ihnen ver-
traue, dann wird mir der Beiſtand des heiligen
Geiſtes nicht entgehen.“ — Der Pfarrer ſchüt-
telte bedenklich das Haupt und ſprach ernſt:
„Es mag Ihnen leichter werden, ſich in dieſe
Vorſtellung hineinzudenken, als an die Verkör-
perung, das Menſchwerden eines rein geiſtigen
Weſens zu glauben. Und doch iſt Ihre Anſicht
verwerflich; denn ſie iſt das erſte Hinneigen
zur Vielgötterei. Chriſtus iſt nach ihr ein
Halbgott, und es werden zwei Weſen der Ver-
ehrung hingeſtellt, während die chriſtliche Re-
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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