Nun kam auch Joseph Meier, der Neffe, welcher ebenfalls im Hause wohnte, dazu. Er war fast in gleichem Alter mit Eduard, doch ließ sein düsteres Wesen ihn älter erscheinen als er war. Er hatte ein kluges Aeußeres, ohne hübsch zu sein, weil er sehr unregelmäßige Züge hatte, und gewöhnlich etwas mürrisch aussah. Nur selten flog ein Lächeln über das markirte Gesicht und verbreitete ein mildes Licht über die Augen, die eigentlich höchst gutmüthig waren, aber fast immer brütend zur Erde blickten.
Joseph und Eduard waren von Kindheit an die besten Freunde gewesen, und hatten, sich ge- genseitig ergänzend, sich zu dem gebildet, was sie geworden, zu tüchtigen Menschen, Jeder in seiner Art. Nur fehlte Joseph das liebenswür- dige Wesen, der feine, ungezwungene Anstand, der Eduard's Erscheinung so angenehm machte; und vor Allem hatte dieser eine angeborne, blühende Beredsamkeit, während Joseph in
Nun kam auch Joſeph Meier, der Neffe, welcher ebenfalls im Hauſe wohnte, dazu. Er war faſt in gleichem Alter mit Eduard, doch ließ ſein düſteres Weſen ihn älter erſcheinen als er war. Er hatte ein kluges Aeußeres, ohne hübſch zu ſein, weil er ſehr unregelmäßige Züge hatte, und gewöhnlich etwas mürriſch ausſah. Nur ſelten flog ein Lächeln über das markirte Geſicht und verbreitete ein mildes Licht über die Augen, die eigentlich höchſt gutmüthig waren, aber faſt immer brütend zur Erde blickten.
Joſeph und Eduard waren von Kindheit an die beſten Freunde geweſen, und hatten, ſich ge- genſeitig ergänzend, ſich zu dem gebildet, was ſie geworden, zu tüchtigen Menſchen, Jeder in ſeiner Art. Nur fehlte Joſeph das liebenswür- dige Weſen, der feine, ungezwungene Anſtand, der Eduard's Erſcheinung ſo angenehm machte; und vor Allem hatte dieſer eine angeborne, blühende Beredſamkeit, während Joſeph in
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Nun kam auch Joſeph Meier, der Neffe,
welcher ebenfalls im Hauſe wohnte, dazu. Er
war faſt in gleichem Alter mit Eduard, doch
ließ ſein düſteres Weſen ihn älter erſcheinen als
er war. Er hatte ein kluges Aeußeres, ohne hübſch
zu ſein, weil er ſehr unregelmäßige Züge hatte,
und gewöhnlich etwas mürriſch ausſah. Nur
ſelten flog ein Lächeln über das markirte Geſicht
und verbreitete ein mildes Licht über die Augen,
die eigentlich höchſt gutmüthig waren, aber faſt
immer brütend zur Erde blickten.
Joſeph und Eduard waren von Kindheit an
die beſten Freunde geweſen, und hatten, ſich ge-
genſeitig ergänzend, ſich zu dem gebildet, was
ſie geworden, zu tüchtigen Menſchen, Jeder in
ſeiner Art. Nur fehlte Joſeph das liebenswür-
dige Weſen, der feine, ungezwungene Anſtand,
der Eduard's Erſcheinung ſo angenehm machte;
und vor Allem hatte dieſer eine angeborne,
blühende Beredſamkeit, während Joſeph in
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/36>, abgerufen am 21.11.2024.
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