über den Gram, den man verursacht, mit dem alten Gemeinplatz, das Weib sei leidensfähiger, als der Mann. Die Schmach fühlt man gar nicht mehr, den Frauen, dem sogenannten schwachen Geschlecht, eine Stellung im Leben angewiesen zu haben, die sie von Jugend auf an Leiden und Entsagungen gewöhnt; man denkt nicht an jene schweren Stunden, in de- nen sie genöthigt sind, sich zu beherrschen, wenn ihr armes Herz vergeht vor innerm Leid. Wer sieht die Thränen, die oft aus der innersten Seele hervorbrechen möchten, wäh rend ein Männerarm die schöne Gestalt um- schlingt und mit ihr durch die fröhlichen Rei- hen des Walzers dahinfliegt? Ihr seht nur die schimmernden Thautropfen auf dem Rosen- kranz in ihren Locken, nur die Perlen, die den schönen Nacken zieren, und ahnet nicht, daß hinter dem feuchten Blau des Auges, das Euch entzückt, Perlen und Thautropfen glän-
über den Gram, den man verurſacht, mit dem alten Gemeinplatz, das Weib ſei leidensfähiger, als der Mann. Die Schmach fühlt man gar nicht mehr, den Frauen, dem ſogenannten ſchwachen Geſchlecht, eine Stellung im Leben angewieſen zu haben, die ſie von Jugend auf an Leiden und Entſagungen gewöhnt; man denkt nicht an jene ſchweren Stunden, in de- nen ſie genöthigt ſind, ſich zu beherrſchen, wenn ihr armes Herz vergeht vor innerm Leid. Wer ſieht die Thränen, die oft aus der innerſten Seele hervorbrechen möchten, wäh rend ein Männerarm die ſchöne Geſtalt um- ſchlingt und mit ihr durch die fröhlichen Rei- hen des Walzers dahinfliegt? Ihr ſeht nur die ſchimmernden Thautropfen auf dem Roſen- kranz in ihren Locken, nur die Perlen, die den ſchönen Nacken zieren, und ahnet nicht, daß hinter dem feuchten Blau des Auges, das Euch entzückt, Perlen und Thautropfen glän-
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über den Gram, den man verurſacht, mit dem
alten Gemeinplatz, das Weib ſei leidensfähiger,
als der Mann. Die Schmach fühlt man gar
nicht mehr, den Frauen, dem ſogenannten
ſchwachen Geſchlecht, eine Stellung im Leben
angewieſen zu haben, die ſie von Jugend auf
an Leiden und Entſagungen gewöhnt; man
denkt nicht an jene ſchweren Stunden, in de-
nen ſie genöthigt ſind, ſich zu beherrſchen,
wenn ihr armes Herz vergeht vor innerm
Leid. Wer ſieht die Thränen, die oft aus der
innerſten Seele hervorbrechen möchten, wäh
rend ein Männerarm die ſchöne Geſtalt um-
ſchlingt und mit ihr durch die fröhlichen Rei-
hen des Walzers dahinfliegt? Ihr ſeht nur
die ſchimmernden Thautropfen auf dem Roſen-
kranz in ihren Locken, nur die Perlen, die
den ſchönen Nacken zieren, und ahnet nicht,
daß hinter dem feuchten Blau des Auges, das
Euch entzückt, Perlen und Thautropfen glän-
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/386>, abgerufen am 24.11.2024.
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