lich verrieth ihm, so lange er selbständig ur- theilte, Jenny's Brief den Zustand ihres Her- zens, und kein Zweifel an der Wahrheit ihrer Worte kam in ihm auf, bis die Mutter seinen Argwohn rege machte. In ihrer Entrüstung achtete diese nicht auf die heißen, flehenden Bit- ten Jenny's, mit denen sie nichts sehnlicher verlangte, als Reinhard's Eigenthum zu blei- ben; der Gedanke allein, Jenny weigere sich, Reinhard's Frau zu werden, sie schlage die Hand ihres Sohnes aus, ihr Gustav sei von seiner Braut abgewiesen, war ihr gegenwärtig und erbitterte sie um so mehr, als sie Grund hatte, auf ihren Sohn stolz zu sein, der diese Ver- bindung wie sein höchstes Glück erstrebt hatte. Geschäftig, ihn zu trösten, hielt sie ihm das Unrecht vor, das man an ihm begehe, und stei- gerte dadurch sein eigenes Leiden so sehr, daß er, von Eifersucht und gekränktem Stolze ge-
lich verrieth ihm, ſo lange er ſelbſtändig ur- theilte, Jenny's Brief den Zuſtand ihres Her- zens, und kein Zweifel an der Wahrheit ihrer Worte kam in ihm auf, bis die Mutter ſeinen Argwohn rege machte. In ihrer Entrüſtung achtete dieſe nicht auf die heißen, flehenden Bit- ten Jenny's, mit denen ſie nichts ſehnlicher verlangte, als Reinhard's Eigenthum zu blei- ben; der Gedanke allein, Jenny weigere ſich, Reinhard's Frau zu werden, ſie ſchlage die Hand ihres Sohnes aus, ihr Guſtav ſei von ſeiner Braut abgewieſen, war ihr gegenwärtig und erbitterte ſie um ſo mehr, als ſie Grund hatte, auf ihren Sohn ſtolz zu ſein, der dieſe Ver- bindung wie ſein höchſtes Glück erſtrebt hatte. Geſchäftig, ihn zu tröſten, hielt ſie ihm das Unrecht vor, das man an ihm begehe, und ſtei- gerte dadurch ſein eigenes Leiden ſo ſehr, daß er, von Eiferſucht und gekränktem Stolze ge-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0151"n="141"/><lb/>
lich verrieth ihm, ſo lange er ſelbſtändig ur-<lb/>
theilte, Jenny's Brief den Zuſtand ihres Her-<lb/>
zens, und kein Zweifel an der Wahrheit ihrer<lb/>
Worte kam in ihm auf, bis die Mutter ſeinen<lb/>
Argwohn rege machte. In ihrer Entrüſtung<lb/>
achtete dieſe nicht auf die heißen, flehenden Bit-<lb/>
ten Jenny's, mit denen ſie nichts ſehnlicher<lb/>
verlangte, als Reinhard's Eigenthum zu blei-<lb/>
ben; der Gedanke allein, Jenny weigere ſich,<lb/>
Reinhard's Frau zu werden, ſie ſchlage die Hand<lb/>
ihres Sohnes aus, ihr Guſtav ſei von ſeiner<lb/>
Braut abgewieſen, war ihr gegenwärtig und<lb/>
erbitterte ſie um ſo mehr, als ſie Grund hatte,<lb/>
auf ihren Sohn ſtolz zu ſein, der dieſe Ver-<lb/>
bindung wie ſein höchſtes Glück erſtrebt hatte.<lb/>
Geſchäftig, ihn zu tröſten, hielt ſie ihm das<lb/>
Unrecht vor, das man an ihm begehe, und ſtei-<lb/>
gerte dadurch ſein eigenes Leiden ſo ſehr, daß<lb/>
er, von Eiferſucht und gekränktem Stolze ge-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[141/0151]
lich verrieth ihm, ſo lange er ſelbſtändig ur-
theilte, Jenny's Brief den Zuſtand ihres Her-
zens, und kein Zweifel an der Wahrheit ihrer
Worte kam in ihm auf, bis die Mutter ſeinen
Argwohn rege machte. In ihrer Entrüſtung
achtete dieſe nicht auf die heißen, flehenden Bit-
ten Jenny's, mit denen ſie nichts ſehnlicher
verlangte, als Reinhard's Eigenthum zu blei-
ben; der Gedanke allein, Jenny weigere ſich,
Reinhard's Frau zu werden, ſie ſchlage die Hand
ihres Sohnes aus, ihr Guſtav ſei von ſeiner
Braut abgewieſen, war ihr gegenwärtig und
erbitterte ſie um ſo mehr, als ſie Grund hatte,
auf ihren Sohn ſtolz zu ſein, der dieſe Ver-
bindung wie ſein höchſtes Glück erſtrebt hatte.
Geſchäftig, ihn zu tröſten, hielt ſie ihm das
Unrecht vor, das man an ihm begehe, und ſtei-
gerte dadurch ſein eigenes Leiden ſo ſehr, daß
er, von Eiferſucht und gekränktem Stolze ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/151>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.