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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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trieben, in der ersten Aufregung seines leiden-
schaftlichen Schmerzes diese Antwort schrieb:

"Ein Mädchen, das Seelenstärke genug be-
sitzt, den vertrauenden Mann, der mit glühen-
der Liebe jeden Zweifel an sie für eine Tod-
sünde gehalten, mit dem heiligsten Eide zu täu-
schen, wird die Kraft finden, eine Trennung
zu ertragen, der mein Männermuth zu unter-
liegen droht. Wohl ihr, wenn diese Kraft sie
auch vor Reue bewahrt."

Anfänglich sollte das Alles sein, was er
ihr sagen wollte, und seine Mutter, welche dies
Blatt gelesen, beeilte sich, es abzusenden, weil
es gerade so ihrer Gesinnung entsprach. Aber
ein anderer Geist, eine unsägliche Traurigkeit
kam über Reinhard. Er entriß das Blatt den
Händen seiner Mutter, öffnete es nochmals und
fuhr fort:

"Jenny, warum hast Du mir das gethan?"

trieben, in der erſten Aufregung ſeines leiden-
ſchaftlichen Schmerzes dieſe Antwort ſchrieb:

„Ein Mädchen, das Seelenſtärke genug be-
ſitzt, den vertrauenden Mann, der mit glühen-
der Liebe jeden Zweifel an ſie für eine Tod-
ſünde gehalten, mit dem heiligſten Eide zu täu-
ſchen, wird die Kraft finden, eine Trennung
zu ertragen, der mein Männermuth zu unter-
liegen droht. Wohl ihr, wenn dieſe Kraft ſie
auch vor Reue bewahrt.“

Anfänglich ſollte das Alles ſein, was er
ihr ſagen wollte, und ſeine Mutter, welche dies
Blatt geleſen, beeilte ſich, es abzuſenden, weil
es gerade ſo ihrer Geſinnung entſprach. Aber
ein anderer Geiſt, eine unſägliche Traurigkeit
kam über Reinhard. Er entriß das Blatt den
Händen ſeiner Mutter, öffnete es nochmals und
fuhr fort:

„Jenny, warum haſt Du mir das gethan?“

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[142/0152] trieben, in der erſten Aufregung ſeines leiden- ſchaftlichen Schmerzes dieſe Antwort ſchrieb: „Ein Mädchen, das Seelenſtärke genug be- ſitzt, den vertrauenden Mann, der mit glühen- der Liebe jeden Zweifel an ſie für eine Tod- ſünde gehalten, mit dem heiligſten Eide zu täu- ſchen, wird die Kraft finden, eine Trennung zu ertragen, der mein Männermuth zu unter- liegen droht. Wohl ihr, wenn dieſe Kraft ſie auch vor Reue bewahrt.“ Anfänglich ſollte das Alles ſein, was er ihr ſagen wollte, und ſeine Mutter, welche dies Blatt geleſen, beeilte ſich, es abzuſenden, weil es gerade ſo ihrer Geſinnung entſprach. Aber ein anderer Geiſt, eine unſägliche Traurigkeit kam über Reinhard. Er entriß das Blatt den Händen ſeiner Mutter, öffnete es nochmals und fuhr fort: „Jenny, warum haſt Du mir das gethan?“

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/152>, abgerufen am 21.11.2024.