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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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Mannes finden, den ich nicht liebte?" Und
da alle Zumuthungen und Gespräche dieser
Art Jenny sichtlich für längere Zeit verstimm-
ten, war es Herr Meier selbst, der seiner Frau
anrieth, nicht in Jenny zu dringen, sondern
ruhig eine Zukunft zu erwarten, in der die Er-
innerung an Reinhard ihren Einfluß auf Jenny
verloren haben und die Vorschläge ihrer Freunde
leichter Gehör bei ihr finden würden.

Aber diesen Zeitpunkt sollte Madame Meier
nicht erleben; ein plötzlicher, schmerzloser Tod
entriß sie ihrer Familie. Wie tief der Verlust
empfunden wurde, wie er die Engverbundenen
nur noch fester aneinander schloß, wie Jeder die
Lücke auszufüllen strebte, die dadurch in den
Herzen der Andern entstanden war, bedarf
kaum einer Erwähnung. Nun stand Jenny
allein an der Spitze ihres Hauses, auf sie war
ihr Vater gewiesen. Dies Bewußtsein erhob
sie in ihren eigenen Augen und tilgte jeden

Mannes finden, den ich nicht liebte?“ Und
da alle Zumuthungen und Geſpräche dieſer
Art Jenny ſichtlich für längere Zeit verſtimm-
ten, war es Herr Meier ſelbſt, der ſeiner Frau
anrieth, nicht in Jenny zu dringen, ſondern
ruhig eine Zukunft zu erwarten, in der die Er-
innerung an Reinhard ihren Einfluß auf Jenny
verloren haben und die Vorſchläge ihrer Freunde
leichter Gehör bei ihr finden würden.

Aber dieſen Zeitpunkt ſollte Madame Meier
nicht erleben; ein plötzlicher, ſchmerzloſer Tod
entriß ſie ihrer Familie. Wie tief der Verluſt
empfunden wurde, wie er die Engverbundenen
nur noch feſter aneinander ſchloß, wie Jeder die
Lücke auszufüllen ſtrebte, die dadurch in den
Herzen der Andern entſtanden war, bedarf
kaum einer Erwähnung. Nun ſtand Jenny
allein an der Spitze ihres Hauſes, auf ſie war
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[162/0172] Mannes finden, den ich nicht liebte?“ Und da alle Zumuthungen und Geſpräche dieſer Art Jenny ſichtlich für längere Zeit verſtimm- ten, war es Herr Meier ſelbſt, der ſeiner Frau anrieth, nicht in Jenny zu dringen, ſondern ruhig eine Zukunft zu erwarten, in der die Er- innerung an Reinhard ihren Einfluß auf Jenny verloren haben und die Vorſchläge ihrer Freunde leichter Gehör bei ihr finden würden. Aber dieſen Zeitpunkt ſollte Madame Meier nicht erleben; ein plötzlicher, ſchmerzloſer Tod entriß ſie ihrer Familie. Wie tief der Verluſt empfunden wurde, wie er die Engverbundenen nur noch feſter aneinander ſchloß, wie Jeder die Lücke auszufüllen ſtrebte, die dadurch in den Herzen der Andern entſtanden war, bedarf kaum einer Erwähnung. Nun ſtand Jenny allein an der Spitze ihres Hauſes, auf ſie war ihr Vater gewieſen. Dies Bewußtſein erhob ſie in ihren eigenen Augen und tilgte jeden

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/172>, abgerufen am 21.11.2024.