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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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Unglück begegnet und man habe ihr Walter
entgegengeschickt, sie davon in Kenntniß zu setzen.
"Wie ging es meinem Vater, als sie ihn ver-
ließen?" fragte sie bebend.

"Er war wohl und munter, und hatte sich
zur Ruhe begeben, ehe ich fortging", antwor-
tete der Graf, und Jenny, als sie in diesem
Augenblick ihre Wohnung erreichten, machte
ihren Arm aus dem des Grafen los und
sank tief aufathmend auf den Sitz vor ihrer
Thüre nieder. Sie hätte weinen mögen, so
bewegt war ihr Herz; sie wollte aufstehen
und noch in das Zimmer ihres Vaters ge-
hen, um sich zu überzeugen, daß er wohl sei,
und war doch so erschöpft von der Beängsti-
gung auf dem Wege, daß sie kein Glied zu
rühren vermochte. Schweigend saß Walter ne-
ben ihr.

Die tiefste Stille herrschte ringsum; nur
das Rauschen der Blätter, das leise Rieseln des

Unglück begegnet und man habe ihr Walter
entgegengeſchickt, ſie davon in Kenntniß zu ſetzen.
„Wie ging es meinem Vater, als ſie ihn ver-
ließen?“ fragte ſie bebend.

„Er war wohl und munter, und hatte ſich
zur Ruhe begeben, ehe ich fortging“, antwor-
tete der Graf, und Jenny, als ſie in dieſem
Augenblick ihre Wohnung erreichten, machte
ihren Arm aus dem des Grafen los und
ſank tief aufathmend auf den Sitz vor ihrer
Thüre nieder. Sie hätte weinen mögen, ſo
bewegt war ihr Herz; ſie wollte aufſtehen
und noch in das Zimmer ihres Vaters ge-
hen, um ſich zu überzeugen, daß er wohl ſei,
und war doch ſo erſchöpft von der Beängſti-
gung auf dem Wege, daß ſie kein Glied zu
rühren vermochte. Schweigend ſaß Walter ne-
ben ihr.

Die tiefſte Stille herrſchte ringsum; nur
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[203/0213] Unglück begegnet und man habe ihr Walter entgegengeſchickt, ſie davon in Kenntniß zu ſetzen. „Wie ging es meinem Vater, als ſie ihn ver- ließen?“ fragte ſie bebend. „Er war wohl und munter, und hatte ſich zur Ruhe begeben, ehe ich fortging“, antwor- tete der Graf, und Jenny, als ſie in dieſem Augenblick ihre Wohnung erreichten, machte ihren Arm aus dem des Grafen los und ſank tief aufathmend auf den Sitz vor ihrer Thüre nieder. Sie hätte weinen mögen, ſo bewegt war ihr Herz; ſie wollte aufſtehen und noch in das Zimmer ihres Vaters ge- hen, um ſich zu überzeugen, daß er wohl ſei, und war doch ſo erſchöpft von der Beängſti- gung auf dem Wege, daß ſie kein Glied zu rühren vermochte. Schweigend ſaß Walter ne- ben ihr. Die tiefſte Stille herrſchte ringsum; nur das Rauſchen der Blätter, das leiſe Rieſeln des

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/213>, abgerufen am 24.11.2024.