vielen Männern geben. Von Jugend auf hatte man ihm wiederholt, wie er jedes Mädchen durch seine Bewerbung ehre und überall waren die Frauen ihm in einer Weise entgegengekom- men, die ihm eine Bestätigung für jene Be- hauptung geboten. Jetzt liebte er mit aller Hingebung seiner Seele. Jenny's früheres Be- tragen hatte in ihm die Hoffnung erweckt, daß sie seine Gefühle theile; er war bereit, sie ge- gen die Vorurtheile einer Welt zu schützen, de- ren Ansicht er gegen sich hatte, und sie verwei- gerte sich ihm, obgleich sie seine Liebe kannte.
Voll quälender Ungewißheit kehrte er endlich nach seiner Wohnung zurück; in Jenny's Zim- mer brannte Licht und ein Schatten bewegte sich an den Vorhängen hin und her. Auch sie mußte noch wach sein. "Das muß anders werden", sagte Walter zu sich selbst. "Ich will, so theuer sie mir ist, weder um ihre Liebe betteln, wenn sie mich ihrer unwerth hält, noch
II. 12
vielen Männern geben. Von Jugend auf hatte man ihm wiederholt, wie er jedes Mädchen durch ſeine Bewerbung ehre und überall waren die Frauen ihm in einer Weiſe entgegengekom- men, die ihm eine Beſtätigung für jene Be- hauptung geboten. Jetzt liebte er mit aller Hingebung ſeiner Seele. Jenny's früheres Be- tragen hatte in ihm die Hoffnung erweckt, daß ſie ſeine Gefühle theile; er war bereit, ſie ge- gen die Vorurtheile einer Welt zu ſchützen, de- ren Anſicht er gegen ſich hatte, und ſie verwei- gerte ſich ihm, obgleich ſie ſeine Liebe kannte.
Voll quälender Ungewißheit kehrte er endlich nach ſeiner Wohnung zurück; in Jenny's Zim- mer brannte Licht und ein Schatten bewegte ſich an den Vorhängen hin und her. Auch ſie mußte noch wach ſein. „Das muß anders werden“, ſagte Walter zu ſich ſelbſt. „Ich will, ſo theuer ſie mir iſt, weder um ihre Liebe betteln, wenn ſie mich ihrer unwerth hält, noch
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vielen Männern geben. Von Jugend auf hatte
man ihm wiederholt, wie er jedes Mädchen
durch ſeine Bewerbung ehre und überall waren
die Frauen ihm in einer Weiſe entgegengekom-
men, die ihm eine Beſtätigung für jene Be-
hauptung geboten. Jetzt liebte er mit aller
Hingebung ſeiner Seele. Jenny's früheres Be-
tragen hatte in ihm die Hoffnung erweckt, daß
ſie ſeine Gefühle theile; er war bereit, ſie ge-
gen die Vorurtheile einer Welt zu ſchützen, de-
ren Anſicht er gegen ſich hatte, und ſie verwei-
gerte ſich ihm, obgleich ſie ſeine Liebe kannte.
Voll quälender Ungewißheit kehrte er endlich
nach ſeiner Wohnung zurück; in Jenny's Zim-
mer brannte Licht und ein Schatten bewegte
ſich an den Vorhängen hin und her. Auch ſie
mußte noch wach ſein. „Das muß anders
werden“, ſagte Walter zu ſich ſelbſt. „Ich
will, ſo theuer ſie mir iſt, weder um ihre Liebe
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/275>, abgerufen am 06.10.2024.
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