ihren Frieden stören. Morgen ist sie mein, oder ich sehe sie nie wieder!" Trotz des männlichen Entschlusses seufzte er tief auf und blickte nochmals nach Jenny's Fenstern. Aber eine Thräne verdunkelte seinen Blick. War es der Gedanke, Jenny zu verlieren, oder das Ge- fühl gekränkten Stolzes, das sie erpreßte? Walter zerdrückte sie schnell, als schämte er sich derselben und ging in das Haus, um auf sei- nem Lager, das der Schlummer floh, der Ge- liebten und des kommenden Tages zu denken.
Auch Jenny konnte keine Ruhe finden. In der ersten Empörung ihrer Seele hatte sie, kaum heimgekehrt, sich ihrem Vater in die Arme werfen, ihm das Erlebte mittheilen und ihn beschwören wollen, am folgenden Tage Baden mit ihr zu verlassen. Aber der Ge- danke, wie tief die Ueberzeugung ihren Vater schmerzen würde, daß immer wieder der Fluch der Vorurtheile auf seinen Kindern ruhe, daß
ihren Frieden ſtören. Morgen iſt ſie mein, oder ich ſehe ſie nie wieder!“ Trotz des männlichen Entſchluſſes ſeufzte er tief auf und blickte nochmals nach Jenny's Fenſtern. Aber eine Thräne verdunkelte ſeinen Blick. War es der Gedanke, Jenny zu verlieren, oder das Ge- fühl gekränkten Stolzes, das ſie erpreßte? Walter zerdrückte ſie ſchnell, als ſchämte er ſich derſelben und ging in das Haus, um auf ſei- nem Lager, das der Schlummer floh, der Ge- liebten und des kommenden Tages zu denken.
Auch Jenny konnte keine Ruhe finden. In der erſten Empörung ihrer Seele hatte ſie, kaum heimgekehrt, ſich ihrem Vater in die Arme werfen, ihm das Erlebte mittheilen und ihn beſchwören wollen, am folgenden Tage Baden mit ihr zu verlaſſen. Aber der Ge- danke, wie tief die Ueberzeugung ihren Vater ſchmerzen würde, daß immer wieder der Fluch der Vorurtheile auf ſeinen Kindern ruhe, daß
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ihren Frieden ſtören. Morgen iſt ſie mein,
oder ich ſehe ſie nie wieder!“ Trotz des
männlichen Entſchluſſes ſeufzte er tief auf und
blickte nochmals nach Jenny's Fenſtern. Aber
eine Thräne verdunkelte ſeinen Blick. War es
der Gedanke, Jenny zu verlieren, oder das Ge-
fühl gekränkten Stolzes, das ſie erpreßte?
Walter zerdrückte ſie ſchnell, als ſchämte er ſich
derſelben und ging in das Haus, um auf ſei-
nem Lager, das der Schlummer floh, der Ge-
liebten und des kommenden Tages zu denken.
Auch Jenny konnte keine Ruhe finden. In
der erſten Empörung ihrer Seele hatte ſie,
kaum heimgekehrt, ſich ihrem Vater in die
Arme werfen, ihm das Erlebte mittheilen und
ihn beſchwören wollen, am folgenden Tage
Baden mit ihr zu verlaſſen. Aber der Ge-
danke, wie tief die Ueberzeugung ihren Vater
ſchmerzen würde, daß immer wieder der Fluch
der Vorurtheile auf ſeinen Kindern ruhe, daß
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/276>, abgerufen am 06.10.2024.
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