daß man an Christus auf verschiedene Weise glauben, und doch sich unaussprechlich lieben und glücklich mit einander sein könne. Sie be- griff es nicht, wie der sonst so freisinnige Mann nur in diesem Einen Punkte von so unerbitt- licher Strenge sein konnte. Was that es ihrer Liebe oder ihrem häuslichen Glücke, wenn Jenny Jesus für den Ersten unter den Menschen, statt Christus für Gott hielt, so lange sie nur seine Lehren befolgte? Indessen führten alle diese Gedanken sie doch nur immer auf den einen Punkt zurück, daß Reinhard es nimmer zugeben würde, sie Christin werden zu lassen, wenn sie ihm die Wahrheit bekenne: daß sie ihn verliere, wenn sie es nicht werde. Das machte sie ver- zagt, und diese Kämpfe ermüdeten sie so sehr, daß sie aus Schwäche Muth zu einer Trennung von dem Geliebten fühlte, wie Feiglinge zu Selbstmördern werden würden, wenn im Mo-
daß man an Chriſtus auf verſchiedene Weiſe glauben, und doch ſich unausſprechlich lieben und glücklich mit einander ſein könne. Sie be- griff es nicht, wie der ſonſt ſo freiſinnige Mann nur in dieſem Einen Punkte von ſo unerbitt- licher Strenge ſein konnte. Was that es ihrer Liebe oder ihrem häuslichen Glücke, wenn Jenny Jeſus für den Erſten unter den Menſchen, ſtatt Chriſtus für Gott hielt, ſo lange ſie nur ſeine Lehren befolgte? Indeſſen führten alle dieſe Gedanken ſie doch nur immer auf den einen Punkt zurück, daß Reinhard es nimmer zugeben würde, ſie Chriſtin werden zu laſſen, wenn ſie ihm die Wahrheit bekenne: daß ſie ihn verliere, wenn ſie es nicht werde. Das machte ſie ver- zagt, und dieſe Kämpfe ermüdeten ſie ſo ſehr, daß ſie aus Schwäche Muth zu einer Trennung von dem Geliebten fühlte, wie Feiglinge zu Selbſtmördern werden würden, wenn im Mo-
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daß man an Chriſtus auf verſchiedene Weiſe
glauben, und doch ſich unausſprechlich lieben
und glücklich mit einander ſein könne. Sie be-
griff es nicht, wie der ſonſt ſo freiſinnige Mann
nur in dieſem Einen Punkte von ſo unerbitt-
licher Strenge ſein konnte. Was that es ihrer
Liebe oder ihrem häuslichen Glücke, wenn Jenny
Jeſus für den Erſten unter den Menſchen, ſtatt
Chriſtus für Gott hielt, ſo lange ſie nur ſeine
Lehren befolgte? Indeſſen führten alle dieſe
Gedanken ſie doch nur immer auf den einen
Punkt zurück, daß Reinhard es nimmer zugeben
würde, ſie Chriſtin werden zu laſſen, wenn ſie
ihm die Wahrheit bekenne: daß ſie ihn verliere,
wenn ſie es nicht werde. Das machte ſie ver-
zagt, und dieſe Kämpfe ermüdeten ſie ſo ſehr,
daß ſie aus Schwäche Muth zu einer Trennung
von dem Geliebten fühlte, wie Feiglinge zu
Selbſtmördern werden würden, wenn im Mo-
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/33>, abgerufen am 03.12.2024.
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