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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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verwickelt, das sie in ihren eignen Augen ernie-
drigte. Clara's ruhige ergebene Entsagung
leuchtete ihr als Beispiel vor; sie wollte nicht
kleiner sein als ihre Freundin, denn auch sie
war sich bewußt, das Unvermeidliche würdig
tragen und eher das Glück, als Achtung vor
sich selbst entbehren zu können. Wie würde es
sein, fragte sie sich, wenn ich vor Reinhard
hinträte und ihm erklärte: "Ich liebe Dich
mehr, als Du ahnen kannst, ich hatte meine
ganze Zukunft an Dein Dasein geknüpft; aber
Christin nach Deinem Sinne kann ich nie wer-
den, darum müssen wir der Wonne entsagen,
auf die wir gehofft. Therese liebt Dich, sie
glaubt wie Du an Christus, möge sie Dir ein
Glück gewähren, das Du aus den Händen einer
Jüdin nicht annehmen darfst." Bei dieser in-
nerlich gehaltenen Rede zerfloß Jenny in Thrä-
nen. Der Schmerz, den sie empfinden würde,
wenn der Moment dieser traurigen Entscheidung

II. 2

verwickelt, das ſie in ihren eignen Augen ernie-
drigte. Clara's ruhige ergebene Entſagung
leuchtete ihr als Beiſpiel vor; ſie wollte nicht
kleiner ſein als ihre Freundin, denn auch ſie
war ſich bewußt, das Unvermeidliche würdig
tragen und eher das Glück, als Achtung vor
ſich ſelbſt entbehren zu können. Wie würde es
ſein, fragte ſie ſich, wenn ich vor Reinhard
hinträte und ihm erklärte: „Ich liebe Dich
mehr, als Du ahnen kannſt, ich hatte meine
ganze Zukunft an Dein Daſein geknüpft; aber
Chriſtin nach Deinem Sinne kann ich nie wer-
den, darum müſſen wir der Wonne entſagen,
auf die wir gehofft. Thereſe liebt Dich, ſie
glaubt wie Du an Chriſtus, möge ſie Dir ein
Glück gewähren, das Du aus den Händen einer
Jüdin nicht annehmen darfſt.“ Bei dieſer in-
nerlich gehaltenen Rede zerfloß Jenny in Thrä-
nen. Der Schmerz, den ſie empfinden würde,
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II. 2
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[25/0035] verwickelt, das ſie in ihren eignen Augen ernie- drigte. Clara's ruhige ergebene Entſagung leuchtete ihr als Beiſpiel vor; ſie wollte nicht kleiner ſein als ihre Freundin, denn auch ſie war ſich bewußt, das Unvermeidliche würdig tragen und eher das Glück, als Achtung vor ſich ſelbſt entbehren zu können. Wie würde es ſein, fragte ſie ſich, wenn ich vor Reinhard hinträte und ihm erklärte: „Ich liebe Dich mehr, als Du ahnen kannſt, ich hatte meine ganze Zukunft an Dein Daſein geknüpft; aber Chriſtin nach Deinem Sinne kann ich nie wer- den, darum müſſen wir der Wonne entſagen, auf die wir gehofft. Thereſe liebt Dich, ſie glaubt wie Du an Chriſtus, möge ſie Dir ein Glück gewähren, das Du aus den Händen einer Jüdin nicht annehmen darfſt.“ Bei dieſer in- nerlich gehaltenen Rede zerfloß Jenny in Thrä- nen. Der Schmerz, den ſie empfinden würde, wenn der Moment dieſer traurigen Entſcheidung II. 2

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/35>, abgerufen am 23.11.2024.