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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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sichtlich zusammen, als das Taufwasser ihre
bleiche Stirn berührte. Aber keine Thräne war
in ihr Auge gekommen, kein Muskel ihres
Gesichtes hatte gezuckt, und nur der bebende
Ton der Stimme hatte, während sie das Glau-
bensbekenntniß ablegte, der Herrschaft ihres
festen Willens Trotz geboten.

Jetzt war die kurze Ceremonie vorüber;
Jenny war Christin geworden. Mit unbe-
schreiblicher Innigkeit zog Reinhard die Geliebte
an sein Herz und Thränen der reinsten Freude,
des zärtlichsten Dankes glänzten in seinen Au-
gen. Doch nur einen kurzen Moment ruhte
sie, wie um sich zu erholen und Kraft zu ge-
winnen, an seinem Herzen; dann flog sie, von
einem innern Impuls getrieben, zu ihrer Mutter
sank, bitterlich weinend, ihr in die Arme.

Es wäre vielleicht für den ruhigen Zuschauer
ein interessantes Schauspiel gewesen, hätte er wäh-
rend der Taufe in den Seelen der anwesenden

ſichtlich zuſammen, als das Taufwaſſer ihre
bleiche Stirn berührte. Aber keine Thräne war
in ihr Auge gekommen, kein Muskel ihres
Geſichtes hatte gezuckt, und nur der bebende
Ton der Stimme hatte, während ſie das Glau-
bensbekenntniß ablegte, der Herrſchaft ihres
feſten Willens Trotz geboten.

Jetzt war die kurze Ceremonie vorüber;
Jenny war Chriſtin geworden. Mit unbe-
ſchreiblicher Innigkeit zog Reinhard die Geliebte
an ſein Herz und Thränen der reinſten Freude,
des zärtlichſten Dankes glänzten in ſeinen Au-
gen. Doch nur einen kurzen Moment ruhte
ſie, wie um ſich zu erholen und Kraft zu ge-
winnen, an ſeinem Herzen; dann flog ſie, von
einem innern Impuls getrieben, zu ihrer Mutter
ſank, bitterlich weinend, ihr in die Arme.

Es wäre vielleicht für den ruhigen Zuſchauer
ein intereſſantes Schauſpiel geweſen, hätte er wäh-
rend der Taufe in den Seelen der anweſenden

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[46/0056] ſichtlich zuſammen, als das Taufwaſſer ihre bleiche Stirn berührte. Aber keine Thräne war in ihr Auge gekommen, kein Muskel ihres Geſichtes hatte gezuckt, und nur der bebende Ton der Stimme hatte, während ſie das Glau- bensbekenntniß ablegte, der Herrſchaft ihres feſten Willens Trotz geboten. Jetzt war die kurze Ceremonie vorüber; Jenny war Chriſtin geworden. Mit unbe- ſchreiblicher Innigkeit zog Reinhard die Geliebte an ſein Herz und Thränen der reinſten Freude, des zärtlichſten Dankes glänzten in ſeinen Au- gen. Doch nur einen kurzen Moment ruhte ſie, wie um ſich zu erholen und Kraft zu ge- winnen, an ſeinem Herzen; dann flog ſie, von einem innern Impuls getrieben, zu ihrer Mutter ſank, bitterlich weinend, ihr in die Arme. Es wäre vielleicht für den ruhigen Zuſchauer ein intereſſantes Schauſpiel geweſen, hätte er wäh- rend der Taufe in den Seelen der anweſenden

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/56>, abgerufen am 21.05.2024.