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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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jener Stunde, der vermag es nicht zu glauben, daß er das Letzte und das Höchste sein soll, der hat das unabweisliche Bedürfniß, sich an ein allweises, allmächtiges Wesen anzulehnen und von ihm den Rath und die Hülfe zu erflehen, die er in sich nicht findet, und die ihm zu Theil wird mit dem Glauben, daß diese Hülfe für ihn existirt.

Mich hatte das Gebet in jener Stunde förmlich neugeboren. Ich wußte, was ich zu thun hatte, meinen Irrthum zu büßen und mich vor weiterer Verstrickung zu bewahren. Als meine Mutter nach Hause kam, war ich gefaßt und voll entsagender Kraft.

Sie stellte den Zustand des Kranken zwar nicht als unbedeutend dar, aber sie sagte, eine augenblickliche Gefahr sei durchaus nicht vorhanden. Es lasse sich im Gegentheil eine baldige Herstellung von diesem Anfalle erwarten, und Klemenz hatte auch zu ihr davon gesprochen, daß er gleich nach seiner Genesung an alle seine Geschäfte zurückzukehren denke. Die Mutter hatte ihn gefragt, ob er Schlichting von seiner Krankheit unterrichtet habe, und da das nicht geschehen, war sie in das Nebenzimmer gegangen, um an seinem Schreibtisch einige Zeilen für meinen Mann zu schreiben, welche sie dann auf dem Heimwege selbst in der Kanzlei des Ministeriums zur Beförderung abgeben wollte.

Während die Mutter dies erzählte, sah Caroline mich mit unverwandtem Blicke an, und kaum hatte Jene sich entfernt, als sie sich mit der Frage an mich

jener Stunde, der vermag es nicht zu glauben, daß er das Letzte und das Höchste sein soll, der hat das unabweisliche Bedürfniß, sich an ein allweises, allmächtiges Wesen anzulehnen und von ihm den Rath und die Hülfe zu erflehen, die er in sich nicht findet, und die ihm zu Theil wird mit dem Glauben, daß diese Hülfe für ihn existirt.

Mich hatte das Gebet in jener Stunde förmlich neugeboren. Ich wußte, was ich zu thun hatte, meinen Irrthum zu büßen und mich vor weiterer Verstrickung zu bewahren. Als meine Mutter nach Hause kam, war ich gefaßt und voll entsagender Kraft.

Sie stellte den Zustand des Kranken zwar nicht als unbedeutend dar, aber sie sagte, eine augenblickliche Gefahr sei durchaus nicht vorhanden. Es lasse sich im Gegentheil eine baldige Herstellung von diesem Anfalle erwarten, und Klemenz hatte auch zu ihr davon gesprochen, daß er gleich nach seiner Genesung an alle seine Geschäfte zurückzukehren denke. Die Mutter hatte ihn gefragt, ob er Schlichting von seiner Krankheit unterrichtet habe, und da das nicht geschehen, war sie in das Nebenzimmer gegangen, um an seinem Schreibtisch einige Zeilen für meinen Mann zu schreiben, welche sie dann auf dem Heimwege selbst in der Kanzlei des Ministeriums zur Beförderung abgeben wollte.

Während die Mutter dies erzählte, sah Caroline mich mit unverwandtem Blicke an, und kaum hatte Jene sich entfernt, als sie sich mit der Frage an mich

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[0105] jener Stunde, der vermag es nicht zu glauben, daß er das Letzte und das Höchste sein soll, der hat das unabweisliche Bedürfniß, sich an ein allweises, allmächtiges Wesen anzulehnen und von ihm den Rath und die Hülfe zu erflehen, die er in sich nicht findet, und die ihm zu Theil wird mit dem Glauben, daß diese Hülfe für ihn existirt. Mich hatte das Gebet in jener Stunde förmlich neugeboren. Ich wußte, was ich zu thun hatte, meinen Irrthum zu büßen und mich vor weiterer Verstrickung zu bewahren. Als meine Mutter nach Hause kam, war ich gefaßt und voll entsagender Kraft. Sie stellte den Zustand des Kranken zwar nicht als unbedeutend dar, aber sie sagte, eine augenblickliche Gefahr sei durchaus nicht vorhanden. Es lasse sich im Gegentheil eine baldige Herstellung von diesem Anfalle erwarten, und Klemenz hatte auch zu ihr davon gesprochen, daß er gleich nach seiner Genesung an alle seine Geschäfte zurückzukehren denke. Die Mutter hatte ihn gefragt, ob er Schlichting von seiner Krankheit unterrichtet habe, und da das nicht geschehen, war sie in das Nebenzimmer gegangen, um an seinem Schreibtisch einige Zeilen für meinen Mann zu schreiben, welche sie dann auf dem Heimwege selbst in der Kanzlei des Ministeriums zur Beförderung abgeben wollte. Während die Mutter dies erzählte, sah Caroline mich mit unverwandtem Blicke an, und kaum hatte Jene sich entfernt, als sie sich mit der Frage an mich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/105>, abgerufen am 11.05.2024.