Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Enkelnichte. Du? rief die Tante, du bist ja keine Frau, und überhaupt, das ist ja auch nichts Schönes! -- O! meinte die Nichte, du kennst diese Vereine nur nicht. -- Freilich kenne ich sie, entgegnete die Tante, ich habe mich auch einmal verleiten lassen hinzugehen, um mir die Vergnügungen der jetzigen Welt doch zu betrachten. -- Nun, und dann? fragten wir. -- Dann bin ich niemals wieder hingegangen! sagte die Tante lächelnd. -- Aber, warum nicht? -- Weil ich mich nicht in Harmonie fand mit dem finstern Raume, mit den ernsten jungen Frauen und den wissensdurstigen Jungfrauen, die dort saßen und nach den Himmelskreisen auf der schwarzen Tafel starrten, als käme hinter denselben alle Lebens- und Liebesseligkeit zum Vorschein. -- Ja, aber Tante, wenn man sich doch unterrichten will, wenn man doch einen Einblick in die Wissenschaft gewinnen möchte!

Einblick! Wissenschaft! wiederholte die Tante mit ihrem feinen, sanften Lächeln, das ihr vortrefflich stand, das sind ja Alles Phrasen, lieben Kinder! Ich habe noch nicht gesehen, daß ihr liebenswürdiger geworden seid durch eure oberflächlichen Blicke auf die tiefe Wissenschaft, im Gegentheil! Ich habe auch nicht bemerkt, daß etwas Ordentliches geworden ist aus diesem beschäftigten Müßiggänge --

O Tante! rief das junge Mädchen begütigend, aber die Tante ließ sich nicht stören.

Nun! sagte sie, wenn dir der Ausdruck nicht

Enkelnichte. Du? rief die Tante, du bist ja keine Frau, und überhaupt, das ist ja auch nichts Schönes! — O! meinte die Nichte, du kennst diese Vereine nur nicht. — Freilich kenne ich sie, entgegnete die Tante, ich habe mich auch einmal verleiten lassen hinzugehen, um mir die Vergnügungen der jetzigen Welt doch zu betrachten. — Nun, und dann? fragten wir. — Dann bin ich niemals wieder hingegangen! sagte die Tante lächelnd. — Aber, warum nicht? — Weil ich mich nicht in Harmonie fand mit dem finstern Raume, mit den ernsten jungen Frauen und den wissensdurstigen Jungfrauen, die dort saßen und nach den Himmelskreisen auf der schwarzen Tafel starrten, als käme hinter denselben alle Lebens- und Liebesseligkeit zum Vorschein. — Ja, aber Tante, wenn man sich doch unterrichten will, wenn man doch einen Einblick in die Wissenschaft gewinnen möchte!

Einblick! Wissenschaft! wiederholte die Tante mit ihrem feinen, sanften Lächeln, das ihr vortrefflich stand, das sind ja Alles Phrasen, lieben Kinder! Ich habe noch nicht gesehen, daß ihr liebenswürdiger geworden seid durch eure oberflächlichen Blicke auf die tiefe Wissenschaft, im Gegentheil! Ich habe auch nicht bemerkt, daß etwas Ordentliches geworden ist aus diesem beschäftigten Müßiggänge —

O Tante! rief das junge Mädchen begütigend, aber die Tante ließ sich nicht stören.

Nun! sagte sie, wenn dir der Ausdruck nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011"/>
Enkelnichte. Du? rief die Tante, du bist ja keine Frau, und überhaupt, das ist ja auch nichts      Schönes! &#x2014; O! meinte die Nichte, du kennst diese Vereine nur nicht. &#x2014; Freilich kenne ich sie,      entgegnete die Tante, ich habe mich auch einmal verleiten lassen hinzugehen, um mir die      Vergnügungen der jetzigen Welt doch zu betrachten. &#x2014; Nun, und dann? fragten wir. &#x2014; Dann bin ich      niemals wieder hingegangen! sagte die Tante lächelnd. &#x2014; Aber, warum nicht? &#x2014; Weil ich mich      nicht in Harmonie fand mit dem finstern Raume, mit den ernsten jungen Frauen und den      wissensdurstigen Jungfrauen, die dort saßen und nach den Himmelskreisen auf der schwarzen Tafel      starrten, als käme hinter denselben alle Lebens- und Liebesseligkeit zum Vorschein. &#x2014; Ja, aber      Tante, wenn man sich doch unterrichten will, wenn man doch einen Einblick in die Wissenschaft      gewinnen möchte!</p><lb/>
        <p>Einblick! Wissenschaft! wiederholte die Tante mit ihrem feinen, sanften Lächeln, das ihr      vortrefflich stand, das sind ja Alles Phrasen, lieben Kinder! Ich habe noch nicht gesehen, daß      ihr liebenswürdiger geworden seid durch eure oberflächlichen Blicke auf die tiefe Wissenschaft,      im Gegentheil! Ich habe auch nicht bemerkt, daß etwas Ordentliches geworden ist aus diesem      beschäftigten Müßiggänge &#x2014;</p><lb/>
        <p>O Tante! rief das junge Mädchen begütigend, aber die Tante ließ sich nicht stören.</p><lb/>
        <p>Nun! sagte sie, wenn dir der Ausdruck nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] Enkelnichte. Du? rief die Tante, du bist ja keine Frau, und überhaupt, das ist ja auch nichts Schönes! — O! meinte die Nichte, du kennst diese Vereine nur nicht. — Freilich kenne ich sie, entgegnete die Tante, ich habe mich auch einmal verleiten lassen hinzugehen, um mir die Vergnügungen der jetzigen Welt doch zu betrachten. — Nun, und dann? fragten wir. — Dann bin ich niemals wieder hingegangen! sagte die Tante lächelnd. — Aber, warum nicht? — Weil ich mich nicht in Harmonie fand mit dem finstern Raume, mit den ernsten jungen Frauen und den wissensdurstigen Jungfrauen, die dort saßen und nach den Himmelskreisen auf der schwarzen Tafel starrten, als käme hinter denselben alle Lebens- und Liebesseligkeit zum Vorschein. — Ja, aber Tante, wenn man sich doch unterrichten will, wenn man doch einen Einblick in die Wissenschaft gewinnen möchte! Einblick! Wissenschaft! wiederholte die Tante mit ihrem feinen, sanften Lächeln, das ihr vortrefflich stand, das sind ja Alles Phrasen, lieben Kinder! Ich habe noch nicht gesehen, daß ihr liebenswürdiger geworden seid durch eure oberflächlichen Blicke auf die tiefe Wissenschaft, im Gegentheil! Ich habe auch nicht bemerkt, daß etwas Ordentliches geworden ist aus diesem beschäftigten Müßiggänge — O Tante! rief das junge Mädchen begütigend, aber die Tante ließ sich nicht stören. Nun! sagte sie, wenn dir der Ausdruck nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/11
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/11>, abgerufen am 28.04.2024.