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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nicht ein, aber ebenso unmöglich war es mir, Carolinen zu sagen, daß sie sich einer Täuschung überlassen; um meinet- und um ihretwillen konnte ich es nicht.

So ging der Abend hin und die folgenden Tage. Die Mutter schickte an jedem Morgen, um nach seinem Befinden fragen zu lassen, und immer erfuhren wir, daß es ihm viel bester gehe. Der Arzt, den wir sprachen, meinte sogar, Klemenz erhole sich so schnell und sein Zustand habe sich so wesentlich gebessert, daß sich darin eine große Lebenskraft verrathe und daß er vielleicht älter werden könne, als man bisher geglaubt.

Bei diesen Mittheilungen strahlte Caroline vor Freude, in mir blieb Alles dumpf und still. Ich wußte nicht mehr, was ich wünschen, was ich fürchten sollte. Eine unbestimmte Ahnung lag beängstigend über mir, ohne daß ich mir auch nur hätte klar machen können, worauf sie sich bezog. Die Mutter hatte den Zustand meines Herzens längst errathen, aber, ihrem Grundsatz treu, sprach sie nicht mit mir davon. Sie blickte mich nur oftmals mit ihren treuen schönen Augen voll stiller Sorge an, und einmal sagte sie: Du siehst recht schlecht aus, Julie, du schläfst auch schlecht. Es wäre vielleicht besser, du bettetest dich für einige Zeit in die Hinterstube, die ist kühler, und du hast es dort ruhiger allein. Ich küßte ihr die Hand und nahm es an. Sie wollte mir die Erleichterung gewähren, mich wenigstens einsam auszuweinen in der Nacht.

nicht ein, aber ebenso unmöglich war es mir, Carolinen zu sagen, daß sie sich einer Täuschung überlassen; um meinet- und um ihretwillen konnte ich es nicht.

So ging der Abend hin und die folgenden Tage. Die Mutter schickte an jedem Morgen, um nach seinem Befinden fragen zu lassen, und immer erfuhren wir, daß es ihm viel bester gehe. Der Arzt, den wir sprachen, meinte sogar, Klemenz erhole sich so schnell und sein Zustand habe sich so wesentlich gebessert, daß sich darin eine große Lebenskraft verrathe und daß er vielleicht älter werden könne, als man bisher geglaubt.

Bei diesen Mittheilungen strahlte Caroline vor Freude, in mir blieb Alles dumpf und still. Ich wußte nicht mehr, was ich wünschen, was ich fürchten sollte. Eine unbestimmte Ahnung lag beängstigend über mir, ohne daß ich mir auch nur hätte klar machen können, worauf sie sich bezog. Die Mutter hatte den Zustand meines Herzens längst errathen, aber, ihrem Grundsatz treu, sprach sie nicht mit mir davon. Sie blickte mich nur oftmals mit ihren treuen schönen Augen voll stiller Sorge an, und einmal sagte sie: Du siehst recht schlecht aus, Julie, du schläfst auch schlecht. Es wäre vielleicht besser, du bettetest dich für einige Zeit in die Hinterstube, die ist kühler, und du hast es dort ruhiger allein. Ich küßte ihr die Hand und nahm es an. Sie wollte mir die Erleichterung gewähren, mich wenigstens einsam auszuweinen in der Nacht.

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[0110] nicht ein, aber ebenso unmöglich war es mir, Carolinen zu sagen, daß sie sich einer Täuschung überlassen; um meinet- und um ihretwillen konnte ich es nicht. So ging der Abend hin und die folgenden Tage. Die Mutter schickte an jedem Morgen, um nach seinem Befinden fragen zu lassen, und immer erfuhren wir, daß es ihm viel bester gehe. Der Arzt, den wir sprachen, meinte sogar, Klemenz erhole sich so schnell und sein Zustand habe sich so wesentlich gebessert, daß sich darin eine große Lebenskraft verrathe und daß er vielleicht älter werden könne, als man bisher geglaubt. Bei diesen Mittheilungen strahlte Caroline vor Freude, in mir blieb Alles dumpf und still. Ich wußte nicht mehr, was ich wünschen, was ich fürchten sollte. Eine unbestimmte Ahnung lag beängstigend über mir, ohne daß ich mir auch nur hätte klar machen können, worauf sie sich bezog. Die Mutter hatte den Zustand meines Herzens längst errathen, aber, ihrem Grundsatz treu, sprach sie nicht mit mir davon. Sie blickte mich nur oftmals mit ihren treuen schönen Augen voll stiller Sorge an, und einmal sagte sie: Du siehst recht schlecht aus, Julie, du schläfst auch schlecht. Es wäre vielleicht besser, du bettetest dich für einige Zeit in die Hinterstube, die ist kühler, und du hast es dort ruhiger allein. Ich küßte ihr die Hand und nahm es an. Sie wollte mir die Erleichterung gewähren, mich wenigstens einsam auszuweinen in der Nacht.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/110>, abgerufen am 12.05.2024.