Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.unumwunden, Klemenz habe sich entfernt aus Mitleid mit meiner Schwäche, und um nicht jetzt, wo er noch angegriffen sei, die schmerzliche Verwirrung, die er unwillkürlich verschuldet, durchkämpfen zu müssen. Damit gingen der Mai und der halbe Juni hin, wir warteten auf Nachricht von Klemenz, es kam keine. Am zwanzigsten Juni kam die Kunde von dem Waffenstillstande nach Berlin und verbreitete solchen Schreck, solche Entrüstung, daß wieder für eine Weile das persönliche Interesse in den Hintergrund trat bei Jedem, der nicht ganz erstorben war, wie ich, die mich der Gedanke an meine lange, öde Zukunft lähmte. Zugleich mit jener Kunde erhielten wir einen Brief von meinem Manne, in dem er theilnehmend besorgt nach Klemenz fragte, von dem er seit längerer Zeit ohne alle Nachricht sei. Da Feldingen nicht an der großen Straße lag, da alle Postverbindungen so unsicher waren, war die Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ein Brief von Klemenz verloren gegangen sei, und die Mutter setzte sich augenblicklich nieder, ihm zu schreiben, daß er Schlichting beruhigen möge. Aber am sechsten Tage kam der Brief zurück. Der Verwalter meines Mannes schrieb, der Assessor befinde sich nicht in Feldingen und habe auch, als er vor drei Wochen zuletzt geschrieben, nichts davon gesagt, daß er hinkommen wolle. Er habe vielmehr alle Verabredungen für längere Zeit getroffen, da er eine Reise vorgehabt, und ihn angewiesen, sich unumwunden, Klemenz habe sich entfernt aus Mitleid mit meiner Schwäche, und um nicht jetzt, wo er noch angegriffen sei, die schmerzliche Verwirrung, die er unwillkürlich verschuldet, durchkämpfen zu müssen. Damit gingen der Mai und der halbe Juni hin, wir warteten auf Nachricht von Klemenz, es kam keine. Am zwanzigsten Juni kam die Kunde von dem Waffenstillstande nach Berlin und verbreitete solchen Schreck, solche Entrüstung, daß wieder für eine Weile das persönliche Interesse in den Hintergrund trat bei Jedem, der nicht ganz erstorben war, wie ich, die mich der Gedanke an meine lange, öde Zukunft lähmte. Zugleich mit jener Kunde erhielten wir einen Brief von meinem Manne, in dem er theilnehmend besorgt nach Klemenz fragte, von dem er seit längerer Zeit ohne alle Nachricht sei. Da Feldingen nicht an der großen Straße lag, da alle Postverbindungen so unsicher waren, war die Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ein Brief von Klemenz verloren gegangen sei, und die Mutter setzte sich augenblicklich nieder, ihm zu schreiben, daß er Schlichting beruhigen möge. Aber am sechsten Tage kam der Brief zurück. Der Verwalter meines Mannes schrieb, der Assessor befinde sich nicht in Feldingen und habe auch, als er vor drei Wochen zuletzt geschrieben, nichts davon gesagt, daß er hinkommen wolle. Er habe vielmehr alle Verabredungen für längere Zeit getroffen, da er eine Reise vorgehabt, und ihn angewiesen, sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0113"/> unumwunden, Klemenz habe sich entfernt aus Mitleid mit meiner Schwäche, und um nicht jetzt, wo er noch angegriffen sei, die schmerzliche Verwirrung, die er unwillkürlich verschuldet, durchkämpfen zu müssen.</p><lb/> <p>Damit gingen der Mai und der halbe Juni hin, wir warteten auf Nachricht von Klemenz, es kam keine. Am zwanzigsten Juni kam die Kunde von dem Waffenstillstande nach Berlin und verbreitete solchen Schreck, solche Entrüstung, daß wieder für eine Weile das persönliche Interesse in den Hintergrund trat bei Jedem, der nicht ganz erstorben war, wie ich, die mich der Gedanke an meine lange, öde Zukunft lähmte. Zugleich mit jener Kunde erhielten wir einen Brief von meinem Manne, in dem er theilnehmend besorgt nach Klemenz fragte, von dem er seit längerer Zeit ohne alle Nachricht sei.</p><lb/> <p>Da Feldingen nicht an der großen Straße lag, da alle Postverbindungen so unsicher waren, war die Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ein Brief von Klemenz verloren gegangen sei, und die Mutter setzte sich augenblicklich nieder, ihm zu schreiben, daß er Schlichting beruhigen möge. Aber am sechsten Tage kam der Brief zurück. Der Verwalter meines Mannes schrieb, der Assessor befinde sich nicht in Feldingen und habe auch, als er vor drei Wochen zuletzt geschrieben, nichts davon gesagt, daß er hinkommen wolle. Er habe vielmehr alle Verabredungen für längere Zeit getroffen, da er eine Reise vorgehabt, und ihn angewiesen, sich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0113]
unumwunden, Klemenz habe sich entfernt aus Mitleid mit meiner Schwäche, und um nicht jetzt, wo er noch angegriffen sei, die schmerzliche Verwirrung, die er unwillkürlich verschuldet, durchkämpfen zu müssen.
Damit gingen der Mai und der halbe Juni hin, wir warteten auf Nachricht von Klemenz, es kam keine. Am zwanzigsten Juni kam die Kunde von dem Waffenstillstande nach Berlin und verbreitete solchen Schreck, solche Entrüstung, daß wieder für eine Weile das persönliche Interesse in den Hintergrund trat bei Jedem, der nicht ganz erstorben war, wie ich, die mich der Gedanke an meine lange, öde Zukunft lähmte. Zugleich mit jener Kunde erhielten wir einen Brief von meinem Manne, in dem er theilnehmend besorgt nach Klemenz fragte, von dem er seit längerer Zeit ohne alle Nachricht sei.
Da Feldingen nicht an der großen Straße lag, da alle Postverbindungen so unsicher waren, war die Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ein Brief von Klemenz verloren gegangen sei, und die Mutter setzte sich augenblicklich nieder, ihm zu schreiben, daß er Schlichting beruhigen möge. Aber am sechsten Tage kam der Brief zurück. Der Verwalter meines Mannes schrieb, der Assessor befinde sich nicht in Feldingen und habe auch, als er vor drei Wochen zuletzt geschrieben, nichts davon gesagt, daß er hinkommen wolle. Er habe vielmehr alle Verabredungen für längere Zeit getroffen, da er eine Reise vorgehabt, und ihn angewiesen, sich
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