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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wird nicht wiederkehren, sagte ich, und ich sprach damit meine festeste Ueberzeugung aus.

Tag und Nacht kamen mir die Worte des Dichters nicht aus dem Sinne: "Man sagt, er wollte sterben!" -- Bald bewunderte, bald tadelte ich ihn in meinem Herzen. Je länger er von mir fern war, desto bestimmter sagte ich mir, daß man nicht zu sterben brauche, um für einander todt zu sein. Ich wünschte, er sollte leben, genesen, wenn es möglich wäre. Die Zurückhaltung, das Schweigen, in die ich mich gebannt, kamen mir wie ein Unrecht gegen ihn, gegen Schlichting vor, der ihn liebte, wie seinen Sohn, der uns kein strenger Richter sein konnte, da wir uns schon selbst die Buße der nothwendigen Entsagung aufgelegt. Mein unbesonnenes Geständniß hatte die Entfernung des Geliebten herbeigeführt, mein ehrliches Bekenntniß vor meinem Manne sollte Klemenz der Heimath, seinem Beschützer, dem Leben wiedergeben. Ich setzte mich zum Schreiben nieder und schrieb die ganze Nacht. Am Morgen siegelte ich den Brief und trug ihn selber fort. Es war in den letzten Tagen des August und ein Sonnenschein, eine Helle, als ob die ganze Welt voll Wonne wäre.

Ich hatte lange Zeit an die Wirkung zu denken, welche mein Vertrauen auf meinen Mann machen würde, ich hatte lange Zeit, mir seine Antwort vorzustellen. Erst gegen das Ende des Monats traf ein Brief von Schlichting ein, doch war er nicht wie sonst

wird nicht wiederkehren, sagte ich, und ich sprach damit meine festeste Ueberzeugung aus.

Tag und Nacht kamen mir die Worte des Dichters nicht aus dem Sinne: „Man sagt, er wollte sterben!“ — Bald bewunderte, bald tadelte ich ihn in meinem Herzen. Je länger er von mir fern war, desto bestimmter sagte ich mir, daß man nicht zu sterben brauche, um für einander todt zu sein. Ich wünschte, er sollte leben, genesen, wenn es möglich wäre. Die Zurückhaltung, das Schweigen, in die ich mich gebannt, kamen mir wie ein Unrecht gegen ihn, gegen Schlichting vor, der ihn liebte, wie seinen Sohn, der uns kein strenger Richter sein konnte, da wir uns schon selbst die Buße der nothwendigen Entsagung aufgelegt. Mein unbesonnenes Geständniß hatte die Entfernung des Geliebten herbeigeführt, mein ehrliches Bekenntniß vor meinem Manne sollte Klemenz der Heimath, seinem Beschützer, dem Leben wiedergeben. Ich setzte mich zum Schreiben nieder und schrieb die ganze Nacht. Am Morgen siegelte ich den Brief und trug ihn selber fort. Es war in den letzten Tagen des August und ein Sonnenschein, eine Helle, als ob die ganze Welt voll Wonne wäre.

Ich hatte lange Zeit an die Wirkung zu denken, welche mein Vertrauen auf meinen Mann machen würde, ich hatte lange Zeit, mir seine Antwort vorzustellen. Erst gegen das Ende des Monats traf ein Brief von Schlichting ein, doch war er nicht wie sonst

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[0116] wird nicht wiederkehren, sagte ich, und ich sprach damit meine festeste Ueberzeugung aus. Tag und Nacht kamen mir die Worte des Dichters nicht aus dem Sinne: „Man sagt, er wollte sterben!“ — Bald bewunderte, bald tadelte ich ihn in meinem Herzen. Je länger er von mir fern war, desto bestimmter sagte ich mir, daß man nicht zu sterben brauche, um für einander todt zu sein. Ich wünschte, er sollte leben, genesen, wenn es möglich wäre. Die Zurückhaltung, das Schweigen, in die ich mich gebannt, kamen mir wie ein Unrecht gegen ihn, gegen Schlichting vor, der ihn liebte, wie seinen Sohn, der uns kein strenger Richter sein konnte, da wir uns schon selbst die Buße der nothwendigen Entsagung aufgelegt. Mein unbesonnenes Geständniß hatte die Entfernung des Geliebten herbeigeführt, mein ehrliches Bekenntniß vor meinem Manne sollte Klemenz der Heimath, seinem Beschützer, dem Leben wiedergeben. Ich setzte mich zum Schreiben nieder und schrieb die ganze Nacht. Am Morgen siegelte ich den Brief und trug ihn selber fort. Es war in den letzten Tagen des August und ein Sonnenschein, eine Helle, als ob die ganze Welt voll Wonne wäre. Ich hatte lange Zeit an die Wirkung zu denken, welche mein Vertrauen auf meinen Mann machen würde, ich hatte lange Zeit, mir seine Antwort vorzustellen. Erst gegen das Ende des Monats traf ein Brief von Schlichting ein, doch war er nicht wie sonst

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/116>, abgerufen am 22.11.2024.