Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

gekostet hatte. Caroline erhob sich an der großen Zeit, aber sie hatte Jahr und Tag weit über ihre Kräfte gearbeitet, sie war angegriffen, und man rieth ihr zu einem Aufenthalte in anderer Luft. In Begleitung ihrer Freundin ging sie also in der Mitte des Sommers nach Böhmen. Sie wollte von Teplitz aus am Tage der Kulmer Schlacht die Stelle besuchen, auf der Klemenz gefallen war, und sie führte diesen Vorsatz der liebevollen Todtenfeier aus.

In Teplitz, das damals voll von Fremden und von Verwundeten war, welche dort Heilung für ihre Leiden suchten, fanden sie und ihre Freundin den Bruder der Letzteren, der bei Laon verwundet worden war und die rechte Hand verloren hatte. Er war ein Mann von vierzig Jahren und Besitzer eines Gutes in Ostpreußen. Caroline lernte ihn schätzen und hielt es, wie sie es nannte, auch für ihre Pflicht, ihr Leben einem Vertheidiger des Vaterlandes ganz zu weihen. Sie wurde also bald nach Beendigung unseres doppelten Trauerjahres seine Frau, und ihre Ehe ist eine sehr würdige gewesen, ihr Mann und ihre Kinder hatten die treueste und tüchtigste Versorgerin an ihr.

Als im August der König seinen feierlichen Einzug in die Heimath hielt, als das sieggekrönte Heer zurückkam nach Berlin, befand Caroline sich noch in Teplitz. Mein Bruder war mit seiner jungen Frau zu ihren Eltern an den Rhein gegangen. Ich war ganz allein.

gekostet hatte. Caroline erhob sich an der großen Zeit, aber sie hatte Jahr und Tag weit über ihre Kräfte gearbeitet, sie war angegriffen, und man rieth ihr zu einem Aufenthalte in anderer Luft. In Begleitung ihrer Freundin ging sie also in der Mitte des Sommers nach Böhmen. Sie wollte von Teplitz aus am Tage der Kulmer Schlacht die Stelle besuchen, auf der Klemenz gefallen war, und sie führte diesen Vorsatz der liebevollen Todtenfeier aus.

In Teplitz, das damals voll von Fremden und von Verwundeten war, welche dort Heilung für ihre Leiden suchten, fanden sie und ihre Freundin den Bruder der Letzteren, der bei Laon verwundet worden war und die rechte Hand verloren hatte. Er war ein Mann von vierzig Jahren und Besitzer eines Gutes in Ostpreußen. Caroline lernte ihn schätzen und hielt es, wie sie es nannte, auch für ihre Pflicht, ihr Leben einem Vertheidiger des Vaterlandes ganz zu weihen. Sie wurde also bald nach Beendigung unseres doppelten Trauerjahres seine Frau, und ihre Ehe ist eine sehr würdige gewesen, ihr Mann und ihre Kinder hatten die treueste und tüchtigste Versorgerin an ihr.

Als im August der König seinen feierlichen Einzug in die Heimath hielt, als das sieggekrönte Heer zurückkam nach Berlin, befand Caroline sich noch in Teplitz. Mein Bruder war mit seiner jungen Frau zu ihren Eltern an den Rhein gegangen. Ich war ganz allein.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0123"/>
gekostet      hatte. Caroline erhob sich an der großen Zeit, aber sie hatte Jahr und Tag weit über ihre      Kräfte gearbeitet, sie war angegriffen, und man rieth ihr zu einem Aufenthalte in anderer Luft.      In Begleitung ihrer Freundin ging sie also in der Mitte des Sommers nach Böhmen. Sie wollte von      Teplitz aus am Tage der Kulmer Schlacht die Stelle besuchen, auf der Klemenz gefallen war, und      sie führte diesen Vorsatz der liebevollen Todtenfeier aus.</p><lb/>
          <p>In Teplitz, das damals voll von Fremden und von Verwundeten war, welche dort Heilung für ihre      Leiden suchten, fanden sie und ihre Freundin den Bruder der Letzteren, der bei Laon verwundet      worden war und die rechte Hand verloren hatte. Er war ein Mann von vierzig Jahren und Besitzer      eines Gutes in Ostpreußen. Caroline lernte ihn schätzen und hielt es, wie sie es nannte, auch      für ihre Pflicht, ihr Leben einem Vertheidiger des Vaterlandes ganz zu weihen. Sie wurde also      bald nach Beendigung unseres doppelten Trauerjahres seine Frau, und ihre Ehe ist eine sehr      würdige gewesen, ihr Mann und ihre Kinder hatten die treueste und tüchtigste Versorgerin an      ihr.</p><lb/>
          <p>Als im August der König seinen feierlichen Einzug in die Heimath hielt, als das sieggekrönte      Heer zurückkam nach Berlin, befand Caroline sich noch in Teplitz. Mein Bruder war mit seiner      jungen Frau zu ihren Eltern an den Rhein gegangen. Ich war ganz allein.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0123] gekostet hatte. Caroline erhob sich an der großen Zeit, aber sie hatte Jahr und Tag weit über ihre Kräfte gearbeitet, sie war angegriffen, und man rieth ihr zu einem Aufenthalte in anderer Luft. In Begleitung ihrer Freundin ging sie also in der Mitte des Sommers nach Böhmen. Sie wollte von Teplitz aus am Tage der Kulmer Schlacht die Stelle besuchen, auf der Klemenz gefallen war, und sie führte diesen Vorsatz der liebevollen Todtenfeier aus. In Teplitz, das damals voll von Fremden und von Verwundeten war, welche dort Heilung für ihre Leiden suchten, fanden sie und ihre Freundin den Bruder der Letzteren, der bei Laon verwundet worden war und die rechte Hand verloren hatte. Er war ein Mann von vierzig Jahren und Besitzer eines Gutes in Ostpreußen. Caroline lernte ihn schätzen und hielt es, wie sie es nannte, auch für ihre Pflicht, ihr Leben einem Vertheidiger des Vaterlandes ganz zu weihen. Sie wurde also bald nach Beendigung unseres doppelten Trauerjahres seine Frau, und ihre Ehe ist eine sehr würdige gewesen, ihr Mann und ihre Kinder hatten die treueste und tüchtigste Versorgerin an ihr. Als im August der König seinen feierlichen Einzug in die Heimath hielt, als das sieggekrönte Heer zurückkam nach Berlin, befand Caroline sich noch in Teplitz. Mein Bruder war mit seiner jungen Frau zu ihren Eltern an den Rhein gegangen. Ich war ganz allein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/123
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/123>, abgerufen am 22.11.2024.