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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ich stand am Fenster im Hause einer Freundin, als die Truppen vorüberdefilirten, als Schlichting mit seiner alten, schönen Haltung vor seinem Bataillon einherritt. Er war sich völlig gleich geblieben. Der Feldzug, die Verwundung hatten ihn nicht angegriffen, nur sein Antlitz war gebräunter, und seine Orden standen ihm trefflich auf der breiten Brust, aber in die Freude, in die herzliche Freude, die ich empfand, mischte sich ein banges Gefühl bei dem Gedanken: das ist dein Mann! Ich empfand das tiefer, als je zuvor, denn ich hatte die Liebe kennen lernen, ich war ein Weib von reifem Herzen und von reiferem Verstande geworden in der Trennungszeit. Ich eilte in unsere Wohnung, Schlichting zu erwarten. Alles war mit Blumen verziert, Alles für ihn vorbereitet, aber nun er kommen sollte, befand ich inmitten dieser Blumen mich in meiner Trauertracht, und mein Herz war noch viel trauriger als meine Kleider.

Als ich seine Schritte hörte, eilte ich ihm entgegen, und da wir einander erreichten, da er nun in dem Zimmer vor mir stand, war's, als hätten wir uns nie zuvor gesehen, als hätten wir uns nicht von Herzen lieb gehabt. Es war ein wunderbares, ein trauriges Wiedersehen, das wir feierten, mein Mann und ich. Er kannte mich kaum wieder. Ich war gewachsen, daß ich hoch an ihm hinanreichte, aber er hatte ein fröhliches Kind verlassen an der Seite einer liebevollen Mutter, im altgewohnten Vaterhause, und er fand

Ich stand am Fenster im Hause einer Freundin, als die Truppen vorüberdefilirten, als Schlichting mit seiner alten, schönen Haltung vor seinem Bataillon einherritt. Er war sich völlig gleich geblieben. Der Feldzug, die Verwundung hatten ihn nicht angegriffen, nur sein Antlitz war gebräunter, und seine Orden standen ihm trefflich auf der breiten Brust, aber in die Freude, in die herzliche Freude, die ich empfand, mischte sich ein banges Gefühl bei dem Gedanken: das ist dein Mann! Ich empfand das tiefer, als je zuvor, denn ich hatte die Liebe kennen lernen, ich war ein Weib von reifem Herzen und von reiferem Verstande geworden in der Trennungszeit. Ich eilte in unsere Wohnung, Schlichting zu erwarten. Alles war mit Blumen verziert, Alles für ihn vorbereitet, aber nun er kommen sollte, befand ich inmitten dieser Blumen mich in meiner Trauertracht, und mein Herz war noch viel trauriger als meine Kleider.

Als ich seine Schritte hörte, eilte ich ihm entgegen, und da wir einander erreichten, da er nun in dem Zimmer vor mir stand, war's, als hätten wir uns nie zuvor gesehen, als hätten wir uns nicht von Herzen lieb gehabt. Es war ein wunderbares, ein trauriges Wiedersehen, das wir feierten, mein Mann und ich. Er kannte mich kaum wieder. Ich war gewachsen, daß ich hoch an ihm hinanreichte, aber er hatte ein fröhliches Kind verlassen an der Seite einer liebevollen Mutter, im altgewohnten Vaterhause, und er fand

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[0124] Ich stand am Fenster im Hause einer Freundin, als die Truppen vorüberdefilirten, als Schlichting mit seiner alten, schönen Haltung vor seinem Bataillon einherritt. Er war sich völlig gleich geblieben. Der Feldzug, die Verwundung hatten ihn nicht angegriffen, nur sein Antlitz war gebräunter, und seine Orden standen ihm trefflich auf der breiten Brust, aber in die Freude, in die herzliche Freude, die ich empfand, mischte sich ein banges Gefühl bei dem Gedanken: das ist dein Mann! Ich empfand das tiefer, als je zuvor, denn ich hatte die Liebe kennen lernen, ich war ein Weib von reifem Herzen und von reiferem Verstande geworden in der Trennungszeit. Ich eilte in unsere Wohnung, Schlichting zu erwarten. Alles war mit Blumen verziert, Alles für ihn vorbereitet, aber nun er kommen sollte, befand ich inmitten dieser Blumen mich in meiner Trauertracht, und mein Herz war noch viel trauriger als meine Kleider. Als ich seine Schritte hörte, eilte ich ihm entgegen, und da wir einander erreichten, da er nun in dem Zimmer vor mir stand, war's, als hätten wir uns nie zuvor gesehen, als hätten wir uns nicht von Herzen lieb gehabt. Es war ein wunderbares, ein trauriges Wiedersehen, das wir feierten, mein Mann und ich. Er kannte mich kaum wieder. Ich war gewachsen, daß ich hoch an ihm hinanreichte, aber er hatte ein fröhliches Kind verlassen an der Seite einer liebevollen Mutter, im altgewohnten Vaterhause, und er fand

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/124>, abgerufen am 12.05.2024.