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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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alt, als er mir, ach nur zu zeitig, starb, und noch heute segne ich die Stunde, die mich in meiner Jugend ihm vermählte, noch heute blicke ich liebevoll zurück auf Alles, was ich ihm verdanke, selbst auf die Schmerzen meiner jungen Jahre.

Seit seinem Tode habe ich fortgelebt in seiner Weise und in seinem Sinne. Ihm danke ich es, daß ich die Ereignisse nicht kleinlich im Einzelnen betrachte, daß ich hinblicke auf den großen, ausgleichenden Zusammenhang der Dinge und der Verhältnisse, daß ich in jedem Augenblicke das Leben schön auszufüllen strebe, weil jeder der letzte unseres Daseins werden kann, und daß ich den Menschen, die ich liebe, meine Liebe gern bethätige, weil die Stunde kommt, in der wir's nicht mehr können. Leben und lieben, weil das Leben so kurz ist, das war seine Weisheit. Möge sie vorleuchten auch für die späten und vielleicht nicht mehr so schönen Tage meiner Zukunft.

Hier schloß das Manuscript der Tante. Es war schon zwei Jahre vor ihrem Tode beendet worden, und sie konnte sich in ihrer letzten Stunde sagen, daß sie sich in dem Sinne ihres Gatten treu geblieben war, bis sie von dannen schied. Friede ihrer Asche und ein freundliches Gedenken ihr und ihrer Güte!

alt, als er mir, ach nur zu zeitig, starb, und noch heute segne ich die Stunde, die mich in meiner Jugend ihm vermählte, noch heute blicke ich liebevoll zurück auf Alles, was ich ihm verdanke, selbst auf die Schmerzen meiner jungen Jahre.

Seit seinem Tode habe ich fortgelebt in seiner Weise und in seinem Sinne. Ihm danke ich es, daß ich die Ereignisse nicht kleinlich im Einzelnen betrachte, daß ich hinblicke auf den großen, ausgleichenden Zusammenhang der Dinge und der Verhältnisse, daß ich in jedem Augenblicke das Leben schön auszufüllen strebe, weil jeder der letzte unseres Daseins werden kann, und daß ich den Menschen, die ich liebe, meine Liebe gern bethätige, weil die Stunde kommt, in der wir's nicht mehr können. Leben und lieben, weil das Leben so kurz ist, das war seine Weisheit. Möge sie vorleuchten auch für die späten und vielleicht nicht mehr so schönen Tage meiner Zukunft.

Hier schloß das Manuscript der Tante. Es war schon zwei Jahre vor ihrem Tode beendet worden, und sie konnte sich in ihrer letzten Stunde sagen, daß sie sich in dem Sinne ihres Gatten treu geblieben war, bis sie von dannen schied. Friede ihrer Asche und ein freundliches Gedenken ihr und ihrer Güte!

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[0127] alt, als er mir, ach nur zu zeitig, starb, und noch heute segne ich die Stunde, die mich in meiner Jugend ihm vermählte, noch heute blicke ich liebevoll zurück auf Alles, was ich ihm verdanke, selbst auf die Schmerzen meiner jungen Jahre. Seit seinem Tode habe ich fortgelebt in seiner Weise und in seinem Sinne. Ihm danke ich es, daß ich die Ereignisse nicht kleinlich im Einzelnen betrachte, daß ich hinblicke auf den großen, ausgleichenden Zusammenhang der Dinge und der Verhältnisse, daß ich in jedem Augenblicke das Leben schön auszufüllen strebe, weil jeder der letzte unseres Daseins werden kann, und daß ich den Menschen, die ich liebe, meine Liebe gern bethätige, weil die Stunde kommt, in der wir's nicht mehr können. Leben und lieben, weil das Leben so kurz ist, das war seine Weisheit. Möge sie vorleuchten auch für die späten und vielleicht nicht mehr so schönen Tage meiner Zukunft. Hier schloß das Manuscript der Tante. Es war schon zwei Jahre vor ihrem Tode beendet worden, und sie konnte sich in ihrer letzten Stunde sagen, daß sie sich in dem Sinne ihres Gatten treu geblieben war, bis sie von dannen schied. Friede ihrer Asche und ein freundliches Gedenken ihr und ihrer Güte!

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/127>, abgerufen am 11.05.2024.