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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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als das Leben in der Gesellschaft mir gestattet hätte. Er war um seinen Abschied eingekommen, nicht nur vom Militär, sondern überhaupt aus dem Staatsdienst, und nach wenig Wochen wurde ihm derselbe auf die ehrenvollste Art bewilligt. Er hat von da ab lange Zeit fast nur für mich gelebt.

Er heilte mein verwundetes Gemüth, er entwickelte und bildete meinen Verstand, er gewöhnte mich, mein Schicksal, mein Lebensloos mit dem anderer Menschen zu vergleichen, und er lehrte mich damit die Demuth und Bescheidenheit, welche die Quelle der Zufriedenheit in unserem Herzen sind. Er wies mich an, zu fragen: was habe ich gethan? was habe ich zu fordern? was bietet mein Dasein mir an Gütern, welche Millionen anderer Menschen fehlen? Er erzog mich zur Zufriedenheit, das heißt zur Lebenslust, er machte mir es zur lieben Pflicht, ihm häuslich dienstbar zu sein, und gab mir damit den Anlaß zu täglich neuer Freude. Was ich wurde, was ich bin, das danke ich seiner weisen, treuen Liebe.

Nach Jahr und Tag hatte ich meine Ruhe wiedergefunden, und als mein Herz genesen und mein Gemüth zur Klarheit gekommen war, da leuchtete allmählich das edle, maßvolle Wesen meines Mannes hell in meine Seele. Ich lernte ihn schätzen und lieben, wie er es verdiente, ich wurde gern und freudig seine Frau und habe ein reines, stilles Glück genossen, so lange ich an seiner Seite lebte. Ich war dreißig Jahre

als das Leben in der Gesellschaft mir gestattet hätte. Er war um seinen Abschied eingekommen, nicht nur vom Militär, sondern überhaupt aus dem Staatsdienst, und nach wenig Wochen wurde ihm derselbe auf die ehrenvollste Art bewilligt. Er hat von da ab lange Zeit fast nur für mich gelebt.

Er heilte mein verwundetes Gemüth, er entwickelte und bildete meinen Verstand, er gewöhnte mich, mein Schicksal, mein Lebensloos mit dem anderer Menschen zu vergleichen, und er lehrte mich damit die Demuth und Bescheidenheit, welche die Quelle der Zufriedenheit in unserem Herzen sind. Er wies mich an, zu fragen: was habe ich gethan? was habe ich zu fordern? was bietet mein Dasein mir an Gütern, welche Millionen anderer Menschen fehlen? Er erzog mich zur Zufriedenheit, das heißt zur Lebenslust, er machte mir es zur lieben Pflicht, ihm häuslich dienstbar zu sein, und gab mir damit den Anlaß zu täglich neuer Freude. Was ich wurde, was ich bin, das danke ich seiner weisen, treuen Liebe.

Nach Jahr und Tag hatte ich meine Ruhe wiedergefunden, und als mein Herz genesen und mein Gemüth zur Klarheit gekommen war, da leuchtete allmählich das edle, maßvolle Wesen meines Mannes hell in meine Seele. Ich lernte ihn schätzen und lieben, wie er es verdiente, ich wurde gern und freudig seine Frau und habe ein reines, stilles Glück genossen, so lange ich an seiner Seite lebte. Ich war dreißig Jahre

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[0126] als das Leben in der Gesellschaft mir gestattet hätte. Er war um seinen Abschied eingekommen, nicht nur vom Militär, sondern überhaupt aus dem Staatsdienst, und nach wenig Wochen wurde ihm derselbe auf die ehrenvollste Art bewilligt. Er hat von da ab lange Zeit fast nur für mich gelebt. Er heilte mein verwundetes Gemüth, er entwickelte und bildete meinen Verstand, er gewöhnte mich, mein Schicksal, mein Lebensloos mit dem anderer Menschen zu vergleichen, und er lehrte mich damit die Demuth und Bescheidenheit, welche die Quelle der Zufriedenheit in unserem Herzen sind. Er wies mich an, zu fragen: was habe ich gethan? was habe ich zu fordern? was bietet mein Dasein mir an Gütern, welche Millionen anderer Menschen fehlen? Er erzog mich zur Zufriedenheit, das heißt zur Lebenslust, er machte mir es zur lieben Pflicht, ihm häuslich dienstbar zu sein, und gab mir damit den Anlaß zu täglich neuer Freude. Was ich wurde, was ich bin, das danke ich seiner weisen, treuen Liebe. Nach Jahr und Tag hatte ich meine Ruhe wiedergefunden, und als mein Herz genesen und mein Gemüth zur Klarheit gekommen war, da leuchtete allmählich das edle, maßvolle Wesen meines Mannes hell in meine Seele. Ich lernte ihn schätzen und lieben, wie er es verdiente, ich wurde gern und freudig seine Frau und habe ein reines, stilles Glück genossen, so lange ich an seiner Seite lebte. Ich war dreißig Jahre

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/126>, abgerufen am 22.11.2024.