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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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für dich ein besonderes Andenken, ein Zeichen des Vertrauens aufgehoben habe, das du nach meinem Tode vorfinden wirst. Sie hielt wieder inne, denn sie war sehr nachdenklich den Abend; dann fuhr sie fort: Ich bin noch aus der alten Schule, die von ihrem Empfinden nachträglich nicht viel Worte machte, obschon wir vielleicht so tief und tiefer fühlten, als die jetzige Welt. Aber es galt für unschicklich, viel von sich selbst zu sprechen, und die großen Confidenzen, die leidenschaftlichen Erörterungen gegen Freunde und Freundinnen sind mir stets als krankhafte Geschmacklosigkeiten vorgekommen. Man belügt dabei im Pathos sich und seinen Zuhörer und macht das Uebel ärger. Indeß der Mensch hat einen Zug, sich seines Erlebten zu erinnern, und auch ich habe ihn oftmals gefühlt. Da habe ich denn mir selber wieder vorerzählt, was ich empfunden, was ich einst gewesen bin, und was die Menschen waren, die mit mir lebten in meiner Jugend.

Sie stand auf, ging an ihren Secretär und zog ein englisches Schreibpult von grünem Sammet daraus hervor. Mit einem kleinen goldenen Schlüssel, den sie an ihrer Uhrkette befestigt hatte, öffnete sie das Kästchen und nahm einen Pack Papiere daraus hervor. Sieh! sagte sie, diese Blätter enthalten meine Jugenderinnerungen. Das Schönste und das Schwerste, was ich erlebte, ruht darin. Nimm das Kästchen an dich. Den Schlüssel sollst du einmal erhalten, wenn ich nicht

für dich ein besonderes Andenken, ein Zeichen des Vertrauens aufgehoben habe, das du nach meinem Tode vorfinden wirst. Sie hielt wieder inne, denn sie war sehr nachdenklich den Abend; dann fuhr sie fort: Ich bin noch aus der alten Schule, die von ihrem Empfinden nachträglich nicht viel Worte machte, obschon wir vielleicht so tief und tiefer fühlten, als die jetzige Welt. Aber es galt für unschicklich, viel von sich selbst zu sprechen, und die großen Confidenzen, die leidenschaftlichen Erörterungen gegen Freunde und Freundinnen sind mir stets als krankhafte Geschmacklosigkeiten vorgekommen. Man belügt dabei im Pathos sich und seinen Zuhörer und macht das Uebel ärger. Indeß der Mensch hat einen Zug, sich seines Erlebten zu erinnern, und auch ich habe ihn oftmals gefühlt. Da habe ich denn mir selber wieder vorerzählt, was ich empfunden, was ich einst gewesen bin, und was die Menschen waren, die mit mir lebten in meiner Jugend.

Sie stand auf, ging an ihren Secretär und zog ein englisches Schreibpult von grünem Sammet daraus hervor. Mit einem kleinen goldenen Schlüssel, den sie an ihrer Uhrkette befestigt hatte, öffnete sie das Kästchen und nahm einen Pack Papiere daraus hervor. Sieh! sagte sie, diese Blätter enthalten meine Jugenderinnerungen. Das Schönste und das Schwerste, was ich erlebte, ruht darin. Nimm das Kästchen an dich. Den Schlüssel sollst du einmal erhalten, wenn ich nicht

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/16>, abgerufen am 28.04.2024.