Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

hatte er immer noch Zeit und Laune, sich uns Kleinen hinzugeben und mit uns zu spielen. Ich glaube, meine Erinnerungen an ihn reichen bis in mein drittes Lebensjahr zurück. In welchem Zeitpunkt ich seiner aber auch gedenke, immer war er der schöne, ernste und doch so freundliche Mann, den Alt und Jung verehrten und Jeder lieben mußte.

Anfangs hatte meine Mutter erwartet, nun er in der Hauptstadt und in einem so ansehnlichen Amte lebte, werde er sich verheirathen, und als sie gesehen, wie sehr er für das Familienleben geschaffen war, hatte sie selbst ihm oftmals dazu gerathen, sich eine Frau zu nehmen. Es war aber nicht dazu gekommen, und endlich hatte sie sich so daran gewöhnt, ihn zu ihrer eigenen Familie zu rechnen, daß ihr bange wurde, wenn sie sich vorstellte, diese immer gleiche, treue Theilnahme und Fürsorge einmal entbehren zu sollen.

So waren fünf, sechs Jahre hingegangen, ohne daß irgend ein Mißton die Eintracht zwischen Schlichting und unsern Eltern störte. Meine älteste Schwester stand in ihrem sechzehnten Jahre, die Mutter, welche eine so erwachsene Tochter neben sich hatte, kam sich trotz ihrer eigenen Schönheit doch fast matronenhaft vor, und weil ihr Schlichting ein so werther Freund geworden war, mochte wohl ab und zu der Gedanke in ihr aufgestiegen sein, ihm einst eine ihrer Töchter zur Frau zu geben. Indeß sie hatte natürlich einem solchen Einfall keine Worte geliehen, und weil der Ruf

hatte er immer noch Zeit und Laune, sich uns Kleinen hinzugeben und mit uns zu spielen. Ich glaube, meine Erinnerungen an ihn reichen bis in mein drittes Lebensjahr zurück. In welchem Zeitpunkt ich seiner aber auch gedenke, immer war er der schöne, ernste und doch so freundliche Mann, den Alt und Jung verehrten und Jeder lieben mußte.

Anfangs hatte meine Mutter erwartet, nun er in der Hauptstadt und in einem so ansehnlichen Amte lebte, werde er sich verheirathen, und als sie gesehen, wie sehr er für das Familienleben geschaffen war, hatte sie selbst ihm oftmals dazu gerathen, sich eine Frau zu nehmen. Es war aber nicht dazu gekommen, und endlich hatte sie sich so daran gewöhnt, ihn zu ihrer eigenen Familie zu rechnen, daß ihr bange wurde, wenn sie sich vorstellte, diese immer gleiche, treue Theilnahme und Fürsorge einmal entbehren zu sollen.

So waren fünf, sechs Jahre hingegangen, ohne daß irgend ein Mißton die Eintracht zwischen Schlichting und unsern Eltern störte. Meine älteste Schwester stand in ihrem sechzehnten Jahre, die Mutter, welche eine so erwachsene Tochter neben sich hatte, kam sich trotz ihrer eigenen Schönheit doch fast matronenhaft vor, und weil ihr Schlichting ein so werther Freund geworden war, mochte wohl ab und zu der Gedanke in ihr aufgestiegen sein, ihm einst eine ihrer Töchter zur Frau zu geben. Indeß sie hatte natürlich einem solchen Einfall keine Worte geliehen, und weil der Ruf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0028"/>
hatte er immer noch Zeit und Laune, sich uns      Kleinen hinzugeben und mit uns zu spielen. Ich glaube, meine Erinnerungen an ihn reichen bis in      mein drittes Lebensjahr zurück. In welchem Zeitpunkt ich seiner aber auch gedenke, immer war er      der schöne, ernste und doch so freundliche Mann, den Alt und Jung verehrten und Jeder lieben      mußte.</p><lb/>
          <p>Anfangs hatte meine Mutter erwartet, nun er in der Hauptstadt und in einem so ansehnlichen      Amte lebte, werde er sich verheirathen, und als sie gesehen, wie sehr er für das Familienleben      geschaffen war, hatte sie selbst ihm oftmals dazu gerathen, sich eine Frau zu nehmen. Es war      aber nicht dazu gekommen, und endlich hatte sie sich so daran gewöhnt, ihn zu ihrer eigenen      Familie zu rechnen, daß ihr bange wurde, wenn sie sich vorstellte, diese immer gleiche, treue      Theilnahme und Fürsorge einmal entbehren zu sollen.</p><lb/>
          <p>So waren fünf, sechs Jahre hingegangen, ohne daß irgend ein Mißton die Eintracht zwischen      Schlichting und unsern Eltern störte. Meine älteste Schwester stand in ihrem sechzehnten Jahre,      die Mutter, welche eine so erwachsene Tochter neben sich hatte, kam sich trotz ihrer eigenen      Schönheit doch fast matronenhaft vor, und weil ihr Schlichting ein so werther Freund geworden      war, mochte wohl ab und zu der Gedanke in ihr aufgestiegen sein, ihm einst eine ihrer Töchter      zur Frau zu geben. Indeß sie hatte natürlich einem solchen Einfall keine Worte geliehen, und      weil der Ruf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0028] hatte er immer noch Zeit und Laune, sich uns Kleinen hinzugeben und mit uns zu spielen. Ich glaube, meine Erinnerungen an ihn reichen bis in mein drittes Lebensjahr zurück. In welchem Zeitpunkt ich seiner aber auch gedenke, immer war er der schöne, ernste und doch so freundliche Mann, den Alt und Jung verehrten und Jeder lieben mußte. Anfangs hatte meine Mutter erwartet, nun er in der Hauptstadt und in einem so ansehnlichen Amte lebte, werde er sich verheirathen, und als sie gesehen, wie sehr er für das Familienleben geschaffen war, hatte sie selbst ihm oftmals dazu gerathen, sich eine Frau zu nehmen. Es war aber nicht dazu gekommen, und endlich hatte sie sich so daran gewöhnt, ihn zu ihrer eigenen Familie zu rechnen, daß ihr bange wurde, wenn sie sich vorstellte, diese immer gleiche, treue Theilnahme und Fürsorge einmal entbehren zu sollen. So waren fünf, sechs Jahre hingegangen, ohne daß irgend ein Mißton die Eintracht zwischen Schlichting und unsern Eltern störte. Meine älteste Schwester stand in ihrem sechzehnten Jahre, die Mutter, welche eine so erwachsene Tochter neben sich hatte, kam sich trotz ihrer eigenen Schönheit doch fast matronenhaft vor, und weil ihr Schlichting ein so werther Freund geworden war, mochte wohl ab und zu der Gedanke in ihr aufgestiegen sein, ihm einst eine ihrer Töchter zur Frau zu geben. Indeß sie hatte natürlich einem solchen Einfall keine Worte geliehen, und weil der Ruf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/28
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/28>, abgerufen am 27.04.2024.