Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

meiner Mutter immer ein ganz makelloser gewesen war, weil Jeder, der sie kannte, ihre Pflichttreue und ihren Charakter verehren mußte, so war auch kein Tadel und kein Zweifel über ihre Beziehungen zu Schlichting in den Menschen aufgekommen, und Niemand hatte ein Arg daran gehabt, als einzig ihre Schwiegermutter ganz allein.

Die Großmutter war überhaupt eine sonderbare Frau. Sie hatte durch ihren Fleiß und ihre strenge Sparsamkeit das Düval'sche Vermögen begründen helfen, und arbeiten und sparen, das war ihr ganzes Leben. Je älter sie wurde, je mehr nahm ihre Sparsamkeit zu, und in der Zeit, da ich mich ihrer erinnern kann, war sie geizig geworden, wie ich nicht wieder eine andere Frau gekannt habe. In ihrem alten Hause in Neu-Köln, in dem der Großvater die Webereien einst begründet, und wo sich noch immer die Fabrik befand, lebte sie in einer dunklen Hinterstube, die nach dem Hofe hinaus gelegen war, und die sie sich allein zurückbehalten, während sie das ganze übrige Haus vermiethet hatte. Sie trug noch immer eine altmodische Faltenhaube von gestreiftem, weißem Perkal, mit breiter, ausstehender Falbel, und ich habe sie immer nur in einem Ueberrock von braunem, gemustertem Kattun gesehen, über den sie ein dunkles seidenes Tuch fest um die Taille gesteckt und eine schwarz wollene Schürze zu binden pflegte. Nur bei großen Festlichkeiten, bei Taufen oder Einsegnungen in unserm

meiner Mutter immer ein ganz makelloser gewesen war, weil Jeder, der sie kannte, ihre Pflichttreue und ihren Charakter verehren mußte, so war auch kein Tadel und kein Zweifel über ihre Beziehungen zu Schlichting in den Menschen aufgekommen, und Niemand hatte ein Arg daran gehabt, als einzig ihre Schwiegermutter ganz allein.

Die Großmutter war überhaupt eine sonderbare Frau. Sie hatte durch ihren Fleiß und ihre strenge Sparsamkeit das Düval'sche Vermögen begründen helfen, und arbeiten und sparen, das war ihr ganzes Leben. Je älter sie wurde, je mehr nahm ihre Sparsamkeit zu, und in der Zeit, da ich mich ihrer erinnern kann, war sie geizig geworden, wie ich nicht wieder eine andere Frau gekannt habe. In ihrem alten Hause in Neu-Köln, in dem der Großvater die Webereien einst begründet, und wo sich noch immer die Fabrik befand, lebte sie in einer dunklen Hinterstube, die nach dem Hofe hinaus gelegen war, und die sie sich allein zurückbehalten, während sie das ganze übrige Haus vermiethet hatte. Sie trug noch immer eine altmodische Faltenhaube von gestreiftem, weißem Perkal, mit breiter, ausstehender Falbel, und ich habe sie immer nur in einem Ueberrock von braunem, gemustertem Kattun gesehen, über den sie ein dunkles seidenes Tuch fest um die Taille gesteckt und eine schwarz wollene Schürze zu binden pflegte. Nur bei großen Festlichkeiten, bei Taufen oder Einsegnungen in unserm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0029"/>
meiner Mutter immer ein ganz makelloser gewesen war, weil Jeder, der sie kannte,      ihre Pflichttreue und ihren Charakter verehren mußte, so war auch kein Tadel und kein Zweifel      über ihre Beziehungen zu Schlichting in den Menschen aufgekommen, und Niemand hatte ein Arg      daran gehabt, als einzig ihre Schwiegermutter ganz allein.</p><lb/>
          <p>Die Großmutter war überhaupt eine sonderbare Frau. Sie hatte durch ihren Fleiß und ihre      strenge Sparsamkeit das Düval'sche Vermögen begründen helfen, und arbeiten und sparen, das war      ihr ganzes Leben. Je älter sie wurde, je mehr nahm ihre Sparsamkeit zu, und in der Zeit, da ich      mich ihrer erinnern kann, war sie geizig geworden, wie ich nicht wieder eine andere Frau      gekannt habe. In ihrem alten Hause in Neu-Köln, in dem der Großvater die Webereien einst      begründet, und wo sich noch immer die Fabrik befand, lebte sie in einer dunklen Hinterstube,      die nach dem Hofe hinaus gelegen war, und die sie sich allein zurückbehalten, während sie das      ganze übrige Haus vermiethet hatte. Sie trug noch immer eine altmodische Faltenhaube von      gestreiftem, weißem Perkal, mit breiter, ausstehender Falbel, und ich habe sie immer nur in      einem Ueberrock von braunem, gemustertem Kattun gesehen, über den sie ein dunkles seidenes Tuch      fest um die Taille gesteckt und eine schwarz wollene Schürze zu binden pflegte. Nur bei großen      Festlichkeiten, bei Taufen oder Einsegnungen in unserm<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] meiner Mutter immer ein ganz makelloser gewesen war, weil Jeder, der sie kannte, ihre Pflichttreue und ihren Charakter verehren mußte, so war auch kein Tadel und kein Zweifel über ihre Beziehungen zu Schlichting in den Menschen aufgekommen, und Niemand hatte ein Arg daran gehabt, als einzig ihre Schwiegermutter ganz allein. Die Großmutter war überhaupt eine sonderbare Frau. Sie hatte durch ihren Fleiß und ihre strenge Sparsamkeit das Düval'sche Vermögen begründen helfen, und arbeiten und sparen, das war ihr ganzes Leben. Je älter sie wurde, je mehr nahm ihre Sparsamkeit zu, und in der Zeit, da ich mich ihrer erinnern kann, war sie geizig geworden, wie ich nicht wieder eine andere Frau gekannt habe. In ihrem alten Hause in Neu-Köln, in dem der Großvater die Webereien einst begründet, und wo sich noch immer die Fabrik befand, lebte sie in einer dunklen Hinterstube, die nach dem Hofe hinaus gelegen war, und die sie sich allein zurückbehalten, während sie das ganze übrige Haus vermiethet hatte. Sie trug noch immer eine altmodische Faltenhaube von gestreiftem, weißem Perkal, mit breiter, ausstehender Falbel, und ich habe sie immer nur in einem Ueberrock von braunem, gemustertem Kattun gesehen, über den sie ein dunkles seidenes Tuch fest um die Taille gesteckt und eine schwarz wollene Schürze zu binden pflegte. Nur bei großen Festlichkeiten, bei Taufen oder Einsegnungen in unserm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/29
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/29>, abgerufen am 28.04.2024.