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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Schönste von uns Allen, und wagte je einmal Jemand die Bemerkung, Carolinens Teint sei schlecht, so tröstete die Großmutter sie mit der Bemerkung, nach schwarzen Kirschen steige man am höchsten. Sie konnte es auch gar nicht erwarten, Caroline erwachsen und verheirathet zu sehen, und weil sie dieselbe immer nur von ihrer Schönheit und von ihren Ansprüchen zu unterhalten pflegte, ging Caroline eben so gern zur Großmutter, als die Andern von ihr ferne blieben.

Für mich lag, so klein ich war, immer etwas Unheimliches in der kalten, finstern Hinterstube und in dem ganzen Wesen der alten Frau. Besonders machte mir ein großer Schrank von Eichenholz, der, allmählich schwarz geworden, die ganze eine Wand des Zimmers einnahm, den geheimnißvollsten Eindruck. Ich konnte meine Augen nicht davon abwenden und fürchtete mich doch immer davor, daß die Thüren einmal aufgehen könnten, ohne daß mein armer kleiner Kopf sich eine Vorstellung davon zu machen wußte, was ich eigentlich hinter den geöffneten Thüren Entsetzliches erwartete.

Ich denke, es muß im Jahre achtzehnhundert drei gewesen sein, als die Eltern mit uns am Neujahrstage zu der Großmutter gingen, ihr zum siebzigsten Geburtstag Glück zu wünschen. Es war des Feiertags wegen still in der Fabrik, und es war auch heller als gewöhnlich in der Stube, denn der Wallnußbaum stand kahl, und der Glanz des Schneelichts fiel durch die Scheiben. Die Großmutter hatte ein

Schönste von uns Allen, und wagte je einmal Jemand die Bemerkung, Carolinens Teint sei schlecht, so tröstete die Großmutter sie mit der Bemerkung, nach schwarzen Kirschen steige man am höchsten. Sie konnte es auch gar nicht erwarten, Caroline erwachsen und verheirathet zu sehen, und weil sie dieselbe immer nur von ihrer Schönheit und von ihren Ansprüchen zu unterhalten pflegte, ging Caroline eben so gern zur Großmutter, als die Andern von ihr ferne blieben.

Für mich lag, so klein ich war, immer etwas Unheimliches in der kalten, finstern Hinterstube und in dem ganzen Wesen der alten Frau. Besonders machte mir ein großer Schrank von Eichenholz, der, allmählich schwarz geworden, die ganze eine Wand des Zimmers einnahm, den geheimnißvollsten Eindruck. Ich konnte meine Augen nicht davon abwenden und fürchtete mich doch immer davor, daß die Thüren einmal aufgehen könnten, ohne daß mein armer kleiner Kopf sich eine Vorstellung davon zu machen wußte, was ich eigentlich hinter den geöffneten Thüren Entsetzliches erwartete.

Ich denke, es muß im Jahre achtzehnhundert drei gewesen sein, als die Eltern mit uns am Neujahrstage zu der Großmutter gingen, ihr zum siebzigsten Geburtstag Glück zu wünschen. Es war des Feiertags wegen still in der Fabrik, und es war auch heller als gewöhnlich in der Stube, denn der Wallnußbaum stand kahl, und der Glanz des Schneelichts fiel durch die Scheiben. Die Großmutter hatte ein

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[0032] Schönste von uns Allen, und wagte je einmal Jemand die Bemerkung, Carolinens Teint sei schlecht, so tröstete die Großmutter sie mit der Bemerkung, nach schwarzen Kirschen steige man am höchsten. Sie konnte es auch gar nicht erwarten, Caroline erwachsen und verheirathet zu sehen, und weil sie dieselbe immer nur von ihrer Schönheit und von ihren Ansprüchen zu unterhalten pflegte, ging Caroline eben so gern zur Großmutter, als die Andern von ihr ferne blieben. Für mich lag, so klein ich war, immer etwas Unheimliches in der kalten, finstern Hinterstube und in dem ganzen Wesen der alten Frau. Besonders machte mir ein großer Schrank von Eichenholz, der, allmählich schwarz geworden, die ganze eine Wand des Zimmers einnahm, den geheimnißvollsten Eindruck. Ich konnte meine Augen nicht davon abwenden und fürchtete mich doch immer davor, daß die Thüren einmal aufgehen könnten, ohne daß mein armer kleiner Kopf sich eine Vorstellung davon zu machen wußte, was ich eigentlich hinter den geöffneten Thüren Entsetzliches erwartete. Ich denke, es muß im Jahre achtzehnhundert drei gewesen sein, als die Eltern mit uns am Neujahrstage zu der Großmutter gingen, ihr zum siebzigsten Geburtstag Glück zu wünschen. Es war des Feiertags wegen still in der Fabrik, und es war auch heller als gewöhnlich in der Stube, denn der Wallnußbaum stand kahl, und der Glanz des Schneelichts fiel durch die Scheiben. Die Großmutter hatte ein

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/32>, abgerufen am 21.11.2024.