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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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schweres braunseidenes Kleid angezogen und gegen ihre Gewohnheit ein Frühstück von Kuchen, Wein und Chocolade hergerichtet, die in schönem altem Porzellan und schwerem Silber aufgetragen waren. So klein ich war, fiel mir doch der Gegensatz zwischen diesen Herrlichkeiten und der Stube auf, aber ich dachte, das müsse wohl Alles aus dem Schranke kommen, und er wurde mir dadurch nur noch mehr ein Gegenstand der höchsten Neugier.

Die Großmutter schmälte auf Niemand und auf Nichts an jenem Morgen. Sie war gerührt und sprach von Leben und Sterben, und daß sie nicht erwartet hätte, den siebzigsten Geburtstag zu erreichen. Ich verstand nicht genau, weßhalb sie so feierlich und so besonders war, aber ich blieb diesmal nicht ungern bei ihr, als sie den Vorschlag machte, Caroline und mich da zu behalten, bis sie mit uns um zwölf zum Mittag kommen würde. Sobald die Andern fort waren, machte sie sich gleich selbst daran, das gebrauchte Silber und Porzellan zu säubern, wobei Caroline, der sie eine Schürze vorband, ihr zur Hand gehen mußte. Um mich kümmerte sie sich weiter nicht, und es ist mir oft ein Räthsel gewesen, weßhalb sie mich eigentlich zurückbehalten. Ich stand auf einem Bänkchen am Fenster und sah zu, wie die Sperlinge im Hofe sich ihr Futter suchten, wie die Katze auf dem Dach des Hundehauses lag.

Mit einem Male aber hörte ich im Zimmer

schweres braunseidenes Kleid angezogen und gegen ihre Gewohnheit ein Frühstück von Kuchen, Wein und Chocolade hergerichtet, die in schönem altem Porzellan und schwerem Silber aufgetragen waren. So klein ich war, fiel mir doch der Gegensatz zwischen diesen Herrlichkeiten und der Stube auf, aber ich dachte, das müsse wohl Alles aus dem Schranke kommen, und er wurde mir dadurch nur noch mehr ein Gegenstand der höchsten Neugier.

Die Großmutter schmälte auf Niemand und auf Nichts an jenem Morgen. Sie war gerührt und sprach von Leben und Sterben, und daß sie nicht erwartet hätte, den siebzigsten Geburtstag zu erreichen. Ich verstand nicht genau, weßhalb sie so feierlich und so besonders war, aber ich blieb diesmal nicht ungern bei ihr, als sie den Vorschlag machte, Caroline und mich da zu behalten, bis sie mit uns um zwölf zum Mittag kommen würde. Sobald die Andern fort waren, machte sie sich gleich selbst daran, das gebrauchte Silber und Porzellan zu säubern, wobei Caroline, der sie eine Schürze vorband, ihr zur Hand gehen mußte. Um mich kümmerte sie sich weiter nicht, und es ist mir oft ein Räthsel gewesen, weßhalb sie mich eigentlich zurückbehalten. Ich stand auf einem Bänkchen am Fenster und sah zu, wie die Sperlinge im Hofe sich ihr Futter suchten, wie die Katze auf dem Dach des Hundehauses lag.

Mit einem Male aber hörte ich im Zimmer

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[0033] schweres braunseidenes Kleid angezogen und gegen ihre Gewohnheit ein Frühstück von Kuchen, Wein und Chocolade hergerichtet, die in schönem altem Porzellan und schwerem Silber aufgetragen waren. So klein ich war, fiel mir doch der Gegensatz zwischen diesen Herrlichkeiten und der Stube auf, aber ich dachte, das müsse wohl Alles aus dem Schranke kommen, und er wurde mir dadurch nur noch mehr ein Gegenstand der höchsten Neugier. Die Großmutter schmälte auf Niemand und auf Nichts an jenem Morgen. Sie war gerührt und sprach von Leben und Sterben, und daß sie nicht erwartet hätte, den siebzigsten Geburtstag zu erreichen. Ich verstand nicht genau, weßhalb sie so feierlich und so besonders war, aber ich blieb diesmal nicht ungern bei ihr, als sie den Vorschlag machte, Caroline und mich da zu behalten, bis sie mit uns um zwölf zum Mittag kommen würde. Sobald die Andern fort waren, machte sie sich gleich selbst daran, das gebrauchte Silber und Porzellan zu säubern, wobei Caroline, der sie eine Schürze vorband, ihr zur Hand gehen mußte. Um mich kümmerte sie sich weiter nicht, und es ist mir oft ein Räthsel gewesen, weßhalb sie mich eigentlich zurückbehalten. Ich stand auf einem Bänkchen am Fenster und sah zu, wie die Sperlinge im Hofe sich ihr Futter suchten, wie die Katze auf dem Dach des Hundehauses lag. Mit einem Male aber hörte ich im Zimmer

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/33>, abgerufen am 27.04.2024.