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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Sie hatte sich in einen französischen Jägerlieutenant verliebt und schwärmte mit ihm für den Kaiser und für den Ruhm der großen Nation. Wenn die Eltern ihr das als ein Unrecht zum Vorwurf machten, so sagte sie, wir wären Franzosen und nicht Preußen; sie habe nur französisches Blut in ihren Adern, und all ihr Sinnen und Trachten war auf Paris gerichtet. Die Eltern hatten also neben den allgemeinen und neben ihren besonderen Sorgen auch noch Kummer und Unfrieden mit dem eigenen Kinde zu bestehen, und da Caroline wirklich die einzige Erbin der Großmutter geworden war und dadurch Aussicht auf ein unabhängiges Vermögen hatte, machte das sie nur noch fester auf ihrem Sinn beharren. Ohne die Zustimmung, ja gegen den Willen der Eltern gab sie dem jungen Vernier ihr Verlobungswort, und als er mit seinem Regimente dann Berlin verließ, sah sie sich als seine Braut an und stand auch heimlich in brieflichem Verkehr mit ihm.

Ein paar Jahre gingen so hin, des Lieutenants Regiment ward zu dem österreichischen Feldzug commandirt, Caroline war trostlos darüber, denn sie erhielt nun selten Nachrichten, und zu Hause sah es im Uebrigen auch nicht heiter aus. Des Vaters Lage verschlechterte sich mehr und mehr. Die inländische Seidenfabrikation konnte mit der französischen Einfuhr nicht concurriren, die Abgaben, die Kriegscontribution waren fast unerschwinglich und lasteten auf dem Ge-

Sie hatte sich in einen französischen Jägerlieutenant verliebt und schwärmte mit ihm für den Kaiser und für den Ruhm der großen Nation. Wenn die Eltern ihr das als ein Unrecht zum Vorwurf machten, so sagte sie, wir wären Franzosen und nicht Preußen; sie habe nur französisches Blut in ihren Adern, und all ihr Sinnen und Trachten war auf Paris gerichtet. Die Eltern hatten also neben den allgemeinen und neben ihren besonderen Sorgen auch noch Kummer und Unfrieden mit dem eigenen Kinde zu bestehen, und da Caroline wirklich die einzige Erbin der Großmutter geworden war und dadurch Aussicht auf ein unabhängiges Vermögen hatte, machte das sie nur noch fester auf ihrem Sinn beharren. Ohne die Zustimmung, ja gegen den Willen der Eltern gab sie dem jungen Vernier ihr Verlobungswort, und als er mit seinem Regimente dann Berlin verließ, sah sie sich als seine Braut an und stand auch heimlich in brieflichem Verkehr mit ihm.

Ein paar Jahre gingen so hin, des Lieutenants Regiment ward zu dem österreichischen Feldzug commandirt, Caroline war trostlos darüber, denn sie erhielt nun selten Nachrichten, und zu Hause sah es im Uebrigen auch nicht heiter aus. Des Vaters Lage verschlechterte sich mehr und mehr. Die inländische Seidenfabrikation konnte mit der französischen Einfuhr nicht concurriren, die Abgaben, die Kriegscontribution waren fast unerschwinglich und lasteten auf dem Ge-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/50>, abgerufen am 27.04.2024.