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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Vormünderin wie ein Mann bemüht, den schwankenden Wohlstand ihrer Familie herzustellen. Sie übernahm die Oberaufsicht über das Geschäft, sie verhandelte täglich die nöthigen Angelegenheiten mit dem Disponenten, wobei die früher unter meines Vaters Leitung erworbene Einsicht ihr sehr zu Gute kam. Sie vermiethete den größten Theil unseres Hauses, die Familie, die sich sonst in freier Behaglichkeit darin ausgebreitet, mußte sich jetzt mit einer Hälfte des obern Stockwerks begnügen, und ich erinnere mich sehr deutlich, welchen Eindruck es mir machte, als wir Alle in der schwarzen Trauerkleidung um den Eßtisch des Zimmers saßen, das nun Wohn- und Speisestube und Salon und Alles in Allem sein mußte. Meine Mutter klagte um diese Einschränkungen niemals. Sie war zu sehr beschäftigt, hatte ihren Sinn zu sehr auf die augenblicklichen Bedürfnisse und auf die Zukunft ihrer Kinder gerichtet, um persönlich an irgend eine Entbehrung zu denken oder etwas Anderes zu betrauern, als den frühen Tod ihres Mannes, und selbst die allgemeine Theilnahme und Achtung, welche ihr tapferes Wesen erregte, schien sie wenig zu beachten.

Seit Schlichting mit dem Hofe nach Berlin zurückgekehrt war, kam er wieder täglich zu uns, und wir Alle wußten es, daß er der Mutter einziger Berather war. Er kümmerte sich um alle unsere Angelegenheiten, jeder Einzelne von uns wendete sich an ihn, und es war Keiner, dem der Onkel nicht in seinem innern

Vormünderin wie ein Mann bemüht, den schwankenden Wohlstand ihrer Familie herzustellen. Sie übernahm die Oberaufsicht über das Geschäft, sie verhandelte täglich die nöthigen Angelegenheiten mit dem Disponenten, wobei die früher unter meines Vaters Leitung erworbene Einsicht ihr sehr zu Gute kam. Sie vermiethete den größten Theil unseres Hauses, die Familie, die sich sonst in freier Behaglichkeit darin ausgebreitet, mußte sich jetzt mit einer Hälfte des obern Stockwerks begnügen, und ich erinnere mich sehr deutlich, welchen Eindruck es mir machte, als wir Alle in der schwarzen Trauerkleidung um den Eßtisch des Zimmers saßen, das nun Wohn- und Speisestube und Salon und Alles in Allem sein mußte. Meine Mutter klagte um diese Einschränkungen niemals. Sie war zu sehr beschäftigt, hatte ihren Sinn zu sehr auf die augenblicklichen Bedürfnisse und auf die Zukunft ihrer Kinder gerichtet, um persönlich an irgend eine Entbehrung zu denken oder etwas Anderes zu betrauern, als den frühen Tod ihres Mannes, und selbst die allgemeine Theilnahme und Achtung, welche ihr tapferes Wesen erregte, schien sie wenig zu beachten.

Seit Schlichting mit dem Hofe nach Berlin zurückgekehrt war, kam er wieder täglich zu uns, und wir Alle wußten es, daß er der Mutter einziger Berather war. Er kümmerte sich um alle unsere Angelegenheiten, jeder Einzelne von uns wendete sich an ihn, und es war Keiner, dem der Onkel nicht in seinem innern

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[0052] Vormünderin wie ein Mann bemüht, den schwankenden Wohlstand ihrer Familie herzustellen. Sie übernahm die Oberaufsicht über das Geschäft, sie verhandelte täglich die nöthigen Angelegenheiten mit dem Disponenten, wobei die früher unter meines Vaters Leitung erworbene Einsicht ihr sehr zu Gute kam. Sie vermiethete den größten Theil unseres Hauses, die Familie, die sich sonst in freier Behaglichkeit darin ausgebreitet, mußte sich jetzt mit einer Hälfte des obern Stockwerks begnügen, und ich erinnere mich sehr deutlich, welchen Eindruck es mir machte, als wir Alle in der schwarzen Trauerkleidung um den Eßtisch des Zimmers saßen, das nun Wohn- und Speisestube und Salon und Alles in Allem sein mußte. Meine Mutter klagte um diese Einschränkungen niemals. Sie war zu sehr beschäftigt, hatte ihren Sinn zu sehr auf die augenblicklichen Bedürfnisse und auf die Zukunft ihrer Kinder gerichtet, um persönlich an irgend eine Entbehrung zu denken oder etwas Anderes zu betrauern, als den frühen Tod ihres Mannes, und selbst die allgemeine Theilnahme und Achtung, welche ihr tapferes Wesen erregte, schien sie wenig zu beachten. Seit Schlichting mit dem Hofe nach Berlin zurückgekehrt war, kam er wieder täglich zu uns, und wir Alle wußten es, daß er der Mutter einziger Berather war. Er kümmerte sich um alle unsere Angelegenheiten, jeder Einzelne von uns wendete sich an ihn, und es war Keiner, dem der Onkel nicht in seinem innern

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/52>, abgerufen am 11.05.2024.