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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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hellen Thränen aus den Augen stürzten. Grade über uns auf dem Balcon des Schlosses standen die Prinzen und Prinzessinnen, den General und die Truppen zu begrüßen. Alle Tücher wurden ihnen zum Willkomm entgegengeweht, Ausrufe der Freude, der Hoffnung, Segenswünsche schallten ihnen entgegen, man fühlte sich erlös't und frei, nun man den Mann in seiner Nähe hatte, der zuerst die Fesseln der Knechtschaft gebrochen und von sich geworfen hatte. Man muß sein Vaterland verloren gegeben haben, wie meine Zeitgenossen, um zu verstehen, wie man um dasselbe leiden kann und was das freie Vaterland dem Herzen eines Jeden ist.

Zu meiner Rechten und zu meiner Linken standen Damen, die ich nicht kannte. Ich wendete mich um, ein befreundetes Antlitz zu sehen, und erblickte mit Entsetzen die todtenbleichen Züge, die thränenvollen Augen des Assessors. Um Gotteswillen, was fehlt Ihnen, was haben Sie? rief ich ängstlich. Nichts, nichts! sagte er, aber ich wußte, was ihm das Herz zerriß, ich wußte, wie seit Wochen der Gram ihn verzehrte, nicht mitstreiten zu können für die Sache, der er mit Leib und Seele hingegeben war. Ein tiefes Mitleid ergriff mich. Ich reichte ihm die Hand, er drückte sie mir still, aber die rechte Festesfreude war für mich zu Ende, seit ich Klemenz so unglücklich in meiner Nähe wußte. Ich hätte ihm meine Gesundheit geben, für ihn krank sein mögen, damit er nur fortgehen könnte, für das Vaterland zu fechten wie die Andern,

hellen Thränen aus den Augen stürzten. Grade über uns auf dem Balcon des Schlosses standen die Prinzen und Prinzessinnen, den General und die Truppen zu begrüßen. Alle Tücher wurden ihnen zum Willkomm entgegengeweht, Ausrufe der Freude, der Hoffnung, Segenswünsche schallten ihnen entgegen, man fühlte sich erlös't und frei, nun man den Mann in seiner Nähe hatte, der zuerst die Fesseln der Knechtschaft gebrochen und von sich geworfen hatte. Man muß sein Vaterland verloren gegeben haben, wie meine Zeitgenossen, um zu verstehen, wie man um dasselbe leiden kann und was das freie Vaterland dem Herzen eines Jeden ist.

Zu meiner Rechten und zu meiner Linken standen Damen, die ich nicht kannte. Ich wendete mich um, ein befreundetes Antlitz zu sehen, und erblickte mit Entsetzen die todtenbleichen Züge, die thränenvollen Augen des Assessors. Um Gotteswillen, was fehlt Ihnen, was haben Sie? rief ich ängstlich. Nichts, nichts! sagte er, aber ich wußte, was ihm das Herz zerriß, ich wußte, wie seit Wochen der Gram ihn verzehrte, nicht mitstreiten zu können für die Sache, der er mit Leib und Seele hingegeben war. Ein tiefes Mitleid ergriff mich. Ich reichte ihm die Hand, er drückte sie mir still, aber die rechte Festesfreude war für mich zu Ende, seit ich Klemenz so unglücklich in meiner Nähe wußte. Ich hätte ihm meine Gesundheit geben, für ihn krank sein mögen, damit er nur fortgehen könnte, für das Vaterland zu fechten wie die Andern,

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[0076] hellen Thränen aus den Augen stürzten. Grade über uns auf dem Balcon des Schlosses standen die Prinzen und Prinzessinnen, den General und die Truppen zu begrüßen. Alle Tücher wurden ihnen zum Willkomm entgegengeweht, Ausrufe der Freude, der Hoffnung, Segenswünsche schallten ihnen entgegen, man fühlte sich erlös't und frei, nun man den Mann in seiner Nähe hatte, der zuerst die Fesseln der Knechtschaft gebrochen und von sich geworfen hatte. Man muß sein Vaterland verloren gegeben haben, wie meine Zeitgenossen, um zu verstehen, wie man um dasselbe leiden kann und was das freie Vaterland dem Herzen eines Jeden ist. Zu meiner Rechten und zu meiner Linken standen Damen, die ich nicht kannte. Ich wendete mich um, ein befreundetes Antlitz zu sehen, und erblickte mit Entsetzen die todtenbleichen Züge, die thränenvollen Augen des Assessors. Um Gotteswillen, was fehlt Ihnen, was haben Sie? rief ich ängstlich. Nichts, nichts! sagte er, aber ich wußte, was ihm das Herz zerriß, ich wußte, wie seit Wochen der Gram ihn verzehrte, nicht mitstreiten zu können für die Sache, der er mit Leib und Seele hingegeben war. Ein tiefes Mitleid ergriff mich. Ich reichte ihm die Hand, er drückte sie mir still, aber die rechte Festesfreude war für mich zu Ende, seit ich Klemenz so unglücklich in meiner Nähe wußte. Ich hätte ihm meine Gesundheit geben, für ihn krank sein mögen, damit er nur fortgehen könnte, für das Vaterland zu fechten wie die Andern,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/76>, abgerufen am 24.11.2024.