Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.keine Ruhe, bis ich auch die geringen Werthsachen, die ich besaß, auf den Altar des Vaterlandes niedergelegt hatte. Es waren einige Paar Ohrgehänge, eine schwere goldene Kette, das Taufgeschenk der Großmutter, und ein kleiner Ring mit blauem Vergißmeinnicht, den die Mutter mir am Tage meiner Einsegnung gegeben. Den Trauring zu opfern, wie so Viele thaten, und einen eisernen Ring vom Vaterlande dafür anzunehmen, hielt eine unbestimmte Scheu mich ab. Klemenz und sein Gefährte verzeichneten, was von Werthsachen abgeliefert wurde, und beförderten es in die Münze, die es einschmolz; ihm hatte ich also auch meine kleinen Schmucksachen eingehändigt und hatte eine große Freude, als ich erfuhr, daß die Kette allein vierzig Thaler werth gewesen. Da eine Masse Leinwand einging, beschloß man, sie im Hause der Ministerin zu Wäsche und Verbänden zu verschneiden und sie den Damen zuzutheilen, welche sich erboten hatten, sie zu nähen, und da Alles dies in höchster Eile betrieben werden mußte, so entstand eine fabrikmäßige Thätigkeit daraus. Caroline, deren praktisches Geschick und Schnelligkeit in dieser allgemeinen Aufregung eine wahre Befriedigung fanden, maß im Salon die Leinwand und schnitt so lange und so eifrig zu, bis ihr die Hände fast erlahmten. Aber sie war dabei viel heiterer, als wir Alle sie je gesehen, sie schien ihre unglückliche Liebe mehr und mehr zu vergessen, und ihr trauriger Haß gegen die Franzosen keine Ruhe, bis ich auch die geringen Werthsachen, die ich besaß, auf den Altar des Vaterlandes niedergelegt hatte. Es waren einige Paar Ohrgehänge, eine schwere goldene Kette, das Taufgeschenk der Großmutter, und ein kleiner Ring mit blauem Vergißmeinnicht, den die Mutter mir am Tage meiner Einsegnung gegeben. Den Trauring zu opfern, wie so Viele thaten, und einen eisernen Ring vom Vaterlande dafür anzunehmen, hielt eine unbestimmte Scheu mich ab. Klemenz und sein Gefährte verzeichneten, was von Werthsachen abgeliefert wurde, und beförderten es in die Münze, die es einschmolz; ihm hatte ich also auch meine kleinen Schmucksachen eingehändigt und hatte eine große Freude, als ich erfuhr, daß die Kette allein vierzig Thaler werth gewesen. Da eine Masse Leinwand einging, beschloß man, sie im Hause der Ministerin zu Wäsche und Verbänden zu verschneiden und sie den Damen zuzutheilen, welche sich erboten hatten, sie zu nähen, und da Alles dies in höchster Eile betrieben werden mußte, so entstand eine fabrikmäßige Thätigkeit daraus. Caroline, deren praktisches Geschick und Schnelligkeit in dieser allgemeinen Aufregung eine wahre Befriedigung fanden, maß im Salon die Leinwand und schnitt so lange und so eifrig zu, bis ihr die Hände fast erlahmten. Aber sie war dabei viel heiterer, als wir Alle sie je gesehen, sie schien ihre unglückliche Liebe mehr und mehr zu vergessen, und ihr trauriger Haß gegen die Franzosen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0083"/> keine Ruhe, bis ich auch die geringen Werthsachen, die ich besaß, auf den Altar des Vaterlandes niedergelegt hatte. Es waren einige Paar Ohrgehänge, eine schwere goldene Kette, das Taufgeschenk der Großmutter, und ein kleiner Ring mit blauem Vergißmeinnicht, den die Mutter mir am Tage meiner Einsegnung gegeben. Den Trauring zu opfern, wie so Viele thaten, und einen eisernen Ring vom Vaterlande dafür anzunehmen, hielt eine unbestimmte Scheu mich ab. Klemenz und sein Gefährte verzeichneten, was von Werthsachen abgeliefert wurde, und beförderten es in die Münze, die es einschmolz; ihm hatte ich also auch meine kleinen Schmucksachen eingehändigt und hatte eine große Freude, als ich erfuhr, daß die Kette allein vierzig Thaler werth gewesen.</p><lb/> <p>Da eine Masse Leinwand einging, beschloß man, sie im Hause der Ministerin zu Wäsche und Verbänden zu verschneiden und sie den Damen zuzutheilen, welche sich erboten hatten, sie zu nähen, und da Alles dies in höchster Eile betrieben werden mußte, so entstand eine fabrikmäßige Thätigkeit daraus. Caroline, deren praktisches Geschick und Schnelligkeit in dieser allgemeinen Aufregung eine wahre Befriedigung fanden, maß im Salon die Leinwand und schnitt so lange und so eifrig zu, bis ihr die Hände fast erlahmten. Aber sie war dabei viel heiterer, als wir Alle sie je gesehen, sie schien ihre unglückliche Liebe mehr und mehr zu vergessen, und ihr trauriger Haß gegen die Franzosen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
keine Ruhe, bis ich auch die geringen Werthsachen, die ich besaß, auf den Altar des Vaterlandes niedergelegt hatte. Es waren einige Paar Ohrgehänge, eine schwere goldene Kette, das Taufgeschenk der Großmutter, und ein kleiner Ring mit blauem Vergißmeinnicht, den die Mutter mir am Tage meiner Einsegnung gegeben. Den Trauring zu opfern, wie so Viele thaten, und einen eisernen Ring vom Vaterlande dafür anzunehmen, hielt eine unbestimmte Scheu mich ab. Klemenz und sein Gefährte verzeichneten, was von Werthsachen abgeliefert wurde, und beförderten es in die Münze, die es einschmolz; ihm hatte ich also auch meine kleinen Schmucksachen eingehändigt und hatte eine große Freude, als ich erfuhr, daß die Kette allein vierzig Thaler werth gewesen.
Da eine Masse Leinwand einging, beschloß man, sie im Hause der Ministerin zu Wäsche und Verbänden zu verschneiden und sie den Damen zuzutheilen, welche sich erboten hatten, sie zu nähen, und da Alles dies in höchster Eile betrieben werden mußte, so entstand eine fabrikmäßige Thätigkeit daraus. Caroline, deren praktisches Geschick und Schnelligkeit in dieser allgemeinen Aufregung eine wahre Befriedigung fanden, maß im Salon die Leinwand und schnitt so lange und so eifrig zu, bis ihr die Hände fast erlahmten. Aber sie war dabei viel heiterer, als wir Alle sie je gesehen, sie schien ihre unglückliche Liebe mehr und mehr zu vergessen, und ihr trauriger Haß gegen die Franzosen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:16:08Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:16:08Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |