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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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immer meinte man, es könne ein Courier angelangt, es könne eine Nachricht gekommen sein.

Ich hatte das Glück der Liebe noch nicht gekannt, als ich die Angst der sorgenden Liebe kennen lernte. Es war nach Mitternacht, und wir hatten uns seit einer Stunde niedergelegt, als wir die Glocke unserer Wohnung läuten hörten. Meine Mutter, Caroline und ich sprangen empor und warfen uns in die Kleider, denn das Mädchen meldete, Klemenz sei da und fordere uns zu sprechen. Daß er selber kam, daß er uns keinen Brief sendete, ließ uns das Schlimmste fürchten, und von Angst gefoltert trat ich in das Zimmer. Lebt Schlichting? riefen wir Alle, wie aus Einem Munde. Ja, Gott Lob, er lebt! antwortete Klemenz. -- Ach, sprechen Sie, sprechen Sie, sagen Sie Allez! bat ich flehend, er ist schwer verwundet, er liegt hoffnungslos darnieder.

Klemenz zauderte, endlich sagte er: Verwundet ist er allerdings. Ich schrie auf im Schreck, meine Mutter wendete sich leidensgewohnt still von uns ab, Klemenz war sehr ergriffen. Die Vorstellung, daß Schlichting, daß mein Mann, daß der Onkel, denn unter diesem Namen liebte ich ihn immer noch am meisten, krank, verwundet, schmerzgefoltert, fern von uns im Lazarethe liege, sträubte mir das Haar auf dem Haupte, und ohne mich zu besinnen, rief ich: Ich muß fort, gleich fort! helft mir, daß ich zu ihm kann! -- und ich weinte bitterlich.

immer meinte man, es könne ein Courier angelangt, es könne eine Nachricht gekommen sein.

Ich hatte das Glück der Liebe noch nicht gekannt, als ich die Angst der sorgenden Liebe kennen lernte. Es war nach Mitternacht, und wir hatten uns seit einer Stunde niedergelegt, als wir die Glocke unserer Wohnung läuten hörten. Meine Mutter, Caroline und ich sprangen empor und warfen uns in die Kleider, denn das Mädchen meldete, Klemenz sei da und fordere uns zu sprechen. Daß er selber kam, daß er uns keinen Brief sendete, ließ uns das Schlimmste fürchten, und von Angst gefoltert trat ich in das Zimmer. Lebt Schlichting? riefen wir Alle, wie aus Einem Munde. Ja, Gott Lob, er lebt! antwortete Klemenz. — Ach, sprechen Sie, sprechen Sie, sagen Sie Allez! bat ich flehend, er ist schwer verwundet, er liegt hoffnungslos darnieder.

Klemenz zauderte, endlich sagte er: Verwundet ist er allerdings. Ich schrie auf im Schreck, meine Mutter wendete sich leidensgewohnt still von uns ab, Klemenz war sehr ergriffen. Die Vorstellung, daß Schlichting, daß mein Mann, daß der Onkel, denn unter diesem Namen liebte ich ihn immer noch am meisten, krank, verwundet, schmerzgefoltert, fern von uns im Lazarethe liege, sträubte mir das Haar auf dem Haupte, und ohne mich zu besinnen, rief ich: Ich muß fort, gleich fort! helft mir, daß ich zu ihm kann! — und ich weinte bitterlich.

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[0085] immer meinte man, es könne ein Courier angelangt, es könne eine Nachricht gekommen sein. Ich hatte das Glück der Liebe noch nicht gekannt, als ich die Angst der sorgenden Liebe kennen lernte. Es war nach Mitternacht, und wir hatten uns seit einer Stunde niedergelegt, als wir die Glocke unserer Wohnung läuten hörten. Meine Mutter, Caroline und ich sprangen empor und warfen uns in die Kleider, denn das Mädchen meldete, Klemenz sei da und fordere uns zu sprechen. Daß er selber kam, daß er uns keinen Brief sendete, ließ uns das Schlimmste fürchten, und von Angst gefoltert trat ich in das Zimmer. Lebt Schlichting? riefen wir Alle, wie aus Einem Munde. Ja, Gott Lob, er lebt! antwortete Klemenz. — Ach, sprechen Sie, sprechen Sie, sagen Sie Allez! bat ich flehend, er ist schwer verwundet, er liegt hoffnungslos darnieder. Klemenz zauderte, endlich sagte er: Verwundet ist er allerdings. Ich schrie auf im Schreck, meine Mutter wendete sich leidensgewohnt still von uns ab, Klemenz war sehr ergriffen. Die Vorstellung, daß Schlichting, daß mein Mann, daß der Onkel, denn unter diesem Namen liebte ich ihn immer noch am meisten, krank, verwundet, schmerzgefoltert, fern von uns im Lazarethe liege, sträubte mir das Haar auf dem Haupte, und ohne mich zu besinnen, rief ich: Ich muß fort, gleich fort! helft mir, daß ich zu ihm kann! — und ich weinte bitterlich.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/85>, abgerufen am 12.05.2024.