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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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trug die Gaben zu den Armen und Kranken, denn die Tante meinte, die vornehmen Damen wären nur ein Schreck und eine Verlegenheit in des Armen Kammer, und Johann erführe und sähe besser, was dort Noth thäte, als sie's könnte; es war auch nicht in ihrer Art. Ich will sehr gerne den Brei bezahlen, sagte sie einmal scherzend, wenn ich das Kind nur nicht zu füttern brauche! Denn zur barmherzigen Schwester taug' ich nicht.

Der Noth abhelfen nannte sie eine Pflicht; den Ueberfluß bescheren, das war ihre Freude. Sie gab ihren Nichten das erste Ballkleid und das Hochzeitskleid, und jedem Neffen seine erste Uhr. Sie wollte mit den heiteren Erinnerungen der Ihrigen fortleben. Das Trauern um die Todten ist so unfruchtbar, das liebende Erinnern, das ist Alles! sagte sie. An meinem Todestage sollt ihr zusammenkommen, um mit guter Laune mein Angedenken unter euch zu erneuern. Und wirklich hat sie Sorge getragen, daß es geschieht, so lange auch nur noch zwei Mitglieder ihrer Familie, die sie kannten, an demselben Orte beisammen leben.

Sie war das Muster einer liebenswürdigen Frau, das Muster einer guten Tante. Sie würde den Typus erfunden haben, hätte er vor ihr nicht existirt. Wir Alle waren ihr von Herzen zugethan und sehr mit ihr zufrieden, nur leider war sie es nicht ganz mit uns.

Ihr seid zu ernsthaft! schalt sie, zu gelehrt! Ihr sprecht in der Gesellschaft vom Staate und von der

trug die Gaben zu den Armen und Kranken, denn die Tante meinte, die vornehmen Damen wären nur ein Schreck und eine Verlegenheit in des Armen Kammer, und Johann erführe und sähe besser, was dort Noth thäte, als sie's könnte; es war auch nicht in ihrer Art. Ich will sehr gerne den Brei bezahlen, sagte sie einmal scherzend, wenn ich das Kind nur nicht zu füttern brauche! Denn zur barmherzigen Schwester taug' ich nicht.

Der Noth abhelfen nannte sie eine Pflicht; den Ueberfluß bescheren, das war ihre Freude. Sie gab ihren Nichten das erste Ballkleid und das Hochzeitskleid, und jedem Neffen seine erste Uhr. Sie wollte mit den heiteren Erinnerungen der Ihrigen fortleben. Das Trauern um die Todten ist so unfruchtbar, das liebende Erinnern, das ist Alles! sagte sie. An meinem Todestage sollt ihr zusammenkommen, um mit guter Laune mein Angedenken unter euch zu erneuern. Und wirklich hat sie Sorge getragen, daß es geschieht, so lange auch nur noch zwei Mitglieder ihrer Familie, die sie kannten, an demselben Orte beisammen leben.

Sie war das Muster einer liebenswürdigen Frau, das Muster einer guten Tante. Sie würde den Typus erfunden haben, hätte er vor ihr nicht existirt. Wir Alle waren ihr von Herzen zugethan und sehr mit ihr zufrieden, nur leider war sie es nicht ganz mit uns.

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[0009] trug die Gaben zu den Armen und Kranken, denn die Tante meinte, die vornehmen Damen wären nur ein Schreck und eine Verlegenheit in des Armen Kammer, und Johann erführe und sähe besser, was dort Noth thäte, als sie's könnte; es war auch nicht in ihrer Art. Ich will sehr gerne den Brei bezahlen, sagte sie einmal scherzend, wenn ich das Kind nur nicht zu füttern brauche! Denn zur barmherzigen Schwester taug' ich nicht. Der Noth abhelfen nannte sie eine Pflicht; den Ueberfluß bescheren, das war ihre Freude. Sie gab ihren Nichten das erste Ballkleid und das Hochzeitskleid, und jedem Neffen seine erste Uhr. Sie wollte mit den heiteren Erinnerungen der Ihrigen fortleben. Das Trauern um die Todten ist so unfruchtbar, das liebende Erinnern, das ist Alles! sagte sie. An meinem Todestage sollt ihr zusammenkommen, um mit guter Laune mein Angedenken unter euch zu erneuern. Und wirklich hat sie Sorge getragen, daß es geschieht, so lange auch nur noch zwei Mitglieder ihrer Familie, die sie kannten, an demselben Orte beisammen leben. Sie war das Muster einer liebenswürdigen Frau, das Muster einer guten Tante. Sie würde den Typus erfunden haben, hätte er vor ihr nicht existirt. Wir Alle waren ihr von Herzen zugethan und sehr mit ihr zufrieden, nur leider war sie es nicht ganz mit uns. Ihr seid zu ernsthaft! schalt sie, zu gelehrt! Ihr sprecht in der Gesellschaft vom Staate und von der

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/9>, abgerufen am 21.11.2024.