Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Meine Mutter that es an meiner Stelle. Schlichting hatte selbst geschrieben. Es waren nur wenig Zeilen, aber sie trugen das ganze Gepräge seiner Güte. Auf dem Wege völliger Genesung bat er uns, nicht um ihn zu sorgen, und sogar meines Geburtstages hatte er in seiner Krankheit doch gedacht und mir Glück dazu gewünscht. Er hoffte bald hergestellt zu sein und in nicht zu langer Zeit seinem Regimente, das weiter vorgerückt war, nachfolgen zu können. Alle waren gerührt. Man nannte es einen schönen Zufall, daß der Brief gerade an dem Tage eingetroffen war, man pries mich glücklich. Und Gott weiß es, ob ich glücklich war! Wie mit einem Zauberschlage war ich umgewandelt, ich war voll einer stillen, ungekannten Seligkeit. Jedes Wort, das man zu mir sprach, preßte mir Freudenthränen aus, aber ich konnte nicht reden, sondern träumte nur still vor mich hin, daß ich es kaum bemerkte, als Klemenz sich empfahl und fortging. Mir war er anwesend, denn ich dachte nur an ihn. Was hatte ich denn noch an meinen Mann zu denken, wenn er gesund war. Es stand ja Alles fest zwischen uns, ich wußte Alles -- aber Klemenz! Er hatte die Kette und den Ring gekauft, ich selber hatte die Bezahlung in den Registern vermerkt gefunden, und seine Mittel reichten jetzt kaum hin für das, was er nothwendig brauchte! Wie theuer mußten diese Sachen ihm gewesen sein, ihm, der alles Entbehrliche Meine Mutter that es an meiner Stelle. Schlichting hatte selbst geschrieben. Es waren nur wenig Zeilen, aber sie trugen das ganze Gepräge seiner Güte. Auf dem Wege völliger Genesung bat er uns, nicht um ihn zu sorgen, und sogar meines Geburtstages hatte er in seiner Krankheit doch gedacht und mir Glück dazu gewünscht. Er hoffte bald hergestellt zu sein und in nicht zu langer Zeit seinem Regimente, das weiter vorgerückt war, nachfolgen zu können. Alle waren gerührt. Man nannte es einen schönen Zufall, daß der Brief gerade an dem Tage eingetroffen war, man pries mich glücklich. Und Gott weiß es, ob ich glücklich war! Wie mit einem Zauberschlage war ich umgewandelt, ich war voll einer stillen, ungekannten Seligkeit. Jedes Wort, das man zu mir sprach, preßte mir Freudenthränen aus, aber ich konnte nicht reden, sondern träumte nur still vor mich hin, daß ich es kaum bemerkte, als Klemenz sich empfahl und fortging. Mir war er anwesend, denn ich dachte nur an ihn. Was hatte ich denn noch an meinen Mann zu denken, wenn er gesund war. Es stand ja Alles fest zwischen uns, ich wußte Alles — aber Klemenz! Er hatte die Kette und den Ring gekauft, ich selber hatte die Bezahlung in den Registern vermerkt gefunden, und seine Mittel reichten jetzt kaum hin für das, was er nothwendig brauchte! Wie theuer mußten diese Sachen ihm gewesen sein, ihm, der alles Entbehrliche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <pb facs="#f0091"/> <p>Meine Mutter that es an meiner Stelle. Schlichting hatte selbst geschrieben. Es waren nur wenig Zeilen, aber sie trugen das ganze Gepräge seiner Güte. Auf dem Wege völliger Genesung bat er uns, nicht um ihn zu sorgen, und sogar meines Geburtstages hatte er in seiner Krankheit doch gedacht und mir Glück dazu gewünscht. Er hoffte bald hergestellt zu sein und in nicht zu langer Zeit seinem Regimente, das weiter vorgerückt war, nachfolgen zu können. Alle waren gerührt. Man nannte es einen schönen Zufall, daß der Brief gerade an dem Tage eingetroffen war, man pries mich glücklich.</p><lb/> <p>Und Gott weiß es, ob ich glücklich war! Wie mit einem Zauberschlage war ich umgewandelt, ich war voll einer stillen, ungekannten Seligkeit. Jedes Wort, das man zu mir sprach, preßte mir Freudenthränen aus, aber ich konnte nicht reden, sondern träumte nur still vor mich hin, daß ich es kaum bemerkte, als Klemenz sich empfahl und fortging.</p><lb/> <p>Mir war er anwesend, denn ich dachte nur an ihn. Was hatte ich denn noch an meinen Mann zu denken, wenn er gesund war. Es stand ja Alles fest zwischen uns, ich wußte Alles — aber Klemenz! Er hatte die Kette und den Ring gekauft, ich selber hatte die Bezahlung in den Registern vermerkt gefunden, und seine Mittel reichten jetzt kaum hin für das, was er nothwendig brauchte! Wie theuer mußten diese Sachen ihm gewesen sein, ihm, der alles Entbehrliche<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
Meine Mutter that es an meiner Stelle. Schlichting hatte selbst geschrieben. Es waren nur wenig Zeilen, aber sie trugen das ganze Gepräge seiner Güte. Auf dem Wege völliger Genesung bat er uns, nicht um ihn zu sorgen, und sogar meines Geburtstages hatte er in seiner Krankheit doch gedacht und mir Glück dazu gewünscht. Er hoffte bald hergestellt zu sein und in nicht zu langer Zeit seinem Regimente, das weiter vorgerückt war, nachfolgen zu können. Alle waren gerührt. Man nannte es einen schönen Zufall, daß der Brief gerade an dem Tage eingetroffen war, man pries mich glücklich.
Und Gott weiß es, ob ich glücklich war! Wie mit einem Zauberschlage war ich umgewandelt, ich war voll einer stillen, ungekannten Seligkeit. Jedes Wort, das man zu mir sprach, preßte mir Freudenthränen aus, aber ich konnte nicht reden, sondern träumte nur still vor mich hin, daß ich es kaum bemerkte, als Klemenz sich empfahl und fortging.
Mir war er anwesend, denn ich dachte nur an ihn. Was hatte ich denn noch an meinen Mann zu denken, wenn er gesund war. Es stand ja Alles fest zwischen uns, ich wußte Alles — aber Klemenz! Er hatte die Kette und den Ring gekauft, ich selber hatte die Bezahlung in den Registern vermerkt gefunden, und seine Mittel reichten jetzt kaum hin für das, was er nothwendig brauchte! Wie theuer mußten diese Sachen ihm gewesen sein, ihm, der alles Entbehrliche
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:16:08Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:16:08Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |