Die einjährige Pflanze erzeugt und sammelt die Nahrung der künftigen, auf gleiche Weise wie die perrennirende; sie spei- chert sie im Saamen in der Form von vegetabilischem Eiweiß von Stärkemehl und Gummi auf, sie wird beim Keimen zur Ausbildung der ersten Wurzelfasern und Blätter verwendet, mit dem Vorhandensein dieser Organe fängt die Zunahme an Masse, die eigentliche Ernährung, erst an.
Jeder Keim, jede Knospe einer perennirenden Pflanze ist der aufgepfropfte Embryo eines neuen Individuums, die im Stamme, in der Wurzel aufgespeicherte Nahrung: sie entspricht dem Albumen des Saamens.
Nahrungsstoffe in ihrer eigentlichen Bedeutung sind offen- bar nur solche Materien, welche von außen zugeführt, das Le- ben und alle Lebensfunctionen eines Organismus zu erhalten vermögen, insofern sie von den Organen zur Hervorbringung der ihnen eigenthümlichen Bestandtheile verwendet werden können.
Bei den Thieren entspringt aus dem Blute die Substanz ihrer Muskeln und Nerven, es unterhält durch einen seiner Bestandtheile den Athmungsproceß, durch andere wieder beson- dere Lebensprocesse, ein jeder Theil des Körpers empfängt Nah- rung durch das Blut, allein die Bluterzeugung ist eine Lebens- funktion für sich, ohne welche das Leben nicht gedacht werden kann; setzen wir die Organe der Bluterzeugung außer Thä- tigkeit, führen wir in die Adern eines Thieres Blut von Au- ßen zu, so erfolgt der Tod, wenn seine Quantität eine ge- wisse Grenze überschreitet.
Wenn wir einem Baume Holzfaser im aufgelös'ten Zu- stande zuführen könnten, so würde der nemliche Fall eintreten, wie wenn wir eine Kartoffelpflanze in Stärkekleister vegetiren ließen.
Die Blätter sind vorhanden, um Stärke, Holzfaser und
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Die Cultur.
Die einjährige Pflanze erzeugt und ſammelt die Nahrung der künftigen, auf gleiche Weiſe wie die perrennirende; ſie ſpei- chert ſie im Saamen in der Form von vegetabiliſchem Eiweiß von Stärkemehl und Gummi auf, ſie wird beim Keimen zur Ausbildung der erſten Wurzelfaſern und Blätter verwendet, mit dem Vorhandenſein dieſer Organe fängt die Zunahme an Maſſe, die eigentliche Ernährung, erſt an.
Jeder Keim, jede Knospe einer perennirenden Pflanze iſt der aufgepfropfte Embryo eines neuen Individuums, die im Stamme, in der Wurzel aufgeſpeicherte Nahrung: ſie entſpricht dem Albumen des Saamens.
Nahrungsſtoffe in ihrer eigentlichen Bedeutung ſind offen- bar nur ſolche Materien, welche von außen zugeführt, das Le- ben und alle Lebensfunctionen eines Organismus zu erhalten vermögen, inſofern ſie von den Organen zur Hervorbringung der ihnen eigenthümlichen Beſtandtheile verwendet werden können.
Bei den Thieren entſpringt aus dem Blute die Subſtanz ihrer Muskeln und Nerven, es unterhält durch einen ſeiner Beſtandtheile den Athmungsproceß, durch andere wieder beſon- dere Lebensproceſſe, ein jeder Theil des Körpers empfängt Nah- rung durch das Blut, allein die Bluterzeugung iſt eine Lebens- funktion für ſich, ohne welche das Leben nicht gedacht werden kann; ſetzen wir die Organe der Bluterzeugung außer Thä- tigkeit, führen wir in die Adern eines Thieres Blut von Au- ßen zu, ſo erfolgt der Tod, wenn ſeine Quantität eine ge- wiſſe Grenze überſchreitet.
Wenn wir einem Baume Holzfaſer im aufgelöſ’ten Zu- ſtande zuführen könnten, ſo würde der nemliche Fall eintreten, wie wenn wir eine Kartoffelpflanze in Stärkekleiſter vegetiren ließen.
Die Blätter ſind vorhanden, um Stärke, Holzfaſer und
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Die Cultur.
Die einjährige Pflanze erzeugt und ſammelt die Nahrung
der künftigen, auf gleiche Weiſe wie die perrennirende; ſie ſpei-
chert ſie im Saamen in der Form von vegetabiliſchem Eiweiß
von Stärkemehl und Gummi auf, ſie wird beim Keimen zur
Ausbildung der erſten Wurzelfaſern und Blätter verwendet,
mit dem Vorhandenſein dieſer Organe fängt die Zunahme an
Maſſe, die eigentliche Ernährung, erſt an.
Jeder Keim, jede Knospe einer perennirenden Pflanze iſt
der aufgepfropfte Embryo eines neuen Individuums, die im
Stamme, in der Wurzel aufgeſpeicherte Nahrung: ſie entſpricht
dem Albumen des Saamens.
Nahrungsſtoffe in ihrer eigentlichen Bedeutung ſind offen-
bar nur ſolche Materien, welche von außen zugeführt, das Le-
ben und alle Lebensfunctionen eines Organismus zu erhalten
vermögen, inſofern ſie von den Organen zur Hervorbringung der
ihnen eigenthümlichen Beſtandtheile verwendet werden können.
Bei den Thieren entſpringt aus dem Blute die Subſtanz
ihrer Muskeln und Nerven, es unterhält durch einen ſeiner
Beſtandtheile den Athmungsproceß, durch andere wieder beſon-
dere Lebensproceſſe, ein jeder Theil des Körpers empfängt Nah-
rung durch das Blut, allein die Bluterzeugung iſt eine Lebens-
funktion für ſich, ohne welche das Leben nicht gedacht werden
kann; ſetzen wir die Organe der Bluterzeugung außer Thä-
tigkeit, führen wir in die Adern eines Thieres Blut von Au-
ßen zu, ſo erfolgt der Tod, wenn ſeine Quantität eine ge-
wiſſe Grenze überſchreitet.
Wenn wir einem Baume Holzfaſer im aufgelöſ’ten Zu-
ſtande zuführen könnten, ſo würde der nemliche Fall eintreten,
wie wenn wir eine Kartoffelpflanze in Stärkekleiſter vegetiren
ließen.
Die Blätter ſind vorhanden, um Stärke, Holzfaſer und
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/133>, abgerufen am 16.02.2025.
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