Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.Die Assimilation des Kohlenstoffs. der Luft schwebt, daß kein einzelnes Stück der Unterlage trägt?Sicherlich nicht. Und dennoch hat man den strengsten Be- weis geführt, daß jedes bezeichnete Stück hinweggenommen werden kann, ohne daß die Säule umfällt. Die Pflanzen- und Thierphysiologen verfahren aber in Be- Ist es möglich, eine Pflanze zur Entwickelung zu bringen, Muß sie nicht bei allem Ueberfluß an Kohlensäure sterben, Kann eine Pflanze überhaupt in carrarischem Marmor wach- Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. der Luft ſchwebt, daß kein einzelnes Stück der Unterlage trägt?Sicherlich nicht. Und dennoch hat man den ſtrengſten Be- weis geführt, daß jedes bezeichnete Stück hinweggenommen werden kann, ohne daß die Säule umfällt. Die Pflanzen- und Thierphyſiologen verfahren aber in Be- Iſt es möglich, eine Pflanze zur Entwickelung zu bringen, Muß ſie nicht bei allem Ueberfluß an Kohlenſäure ſterben, Kann eine Pflanze überhaupt in carrariſchem Marmor wach- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0059" n="41"/><fw place="top" type="header">Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.</fw><lb/> der Luft ſchwebt, daß kein einzelnes Stück der Unterlage trägt?<lb/> Sicherlich nicht. Und dennoch hat man den ſtrengſten Be-<lb/> weis geführt, daß jedes bezeichnete Stück hinweggenommen<lb/> werden kann, ohne daß die Säule umfällt.</p><lb/> <p>Die Pflanzen- und Thierphyſiologen verfahren aber in Be-<lb/> ziehung auf den Aſimilationsproceß nicht anders. Ohne die<lb/> Bedingungen des Lebens, die Beſchaffenheit und Nahrungs-<lb/> mittel, die Natur und Beſtandtheile der Organe zu kennen,<lb/> ſtellen ſie Verſuche an, Verſuche, denen man Beweiskraft zu-<lb/> ſchreibt, während ſie Mitleid und Bedauern erwecken.</p><lb/> <p>Iſt es möglich, eine Pflanze zur Entwickelung zu bringen,<lb/> wenn man ihr nicht neben Waſſer und Kohlenſäure eine ſtick-<lb/> ſtoffhaltige Materie giebt, die ſie zur Erzeugung der ſtickſtoff-<lb/> haltigen Beſtandtheile im Safte bedarf?</p><lb/> <p>Muß ſie nicht bei allem Ueberfluß an Kohlenſäure ſterben,<lb/> wenn die wenigen Blätter, die ſich gebildet haben, den Stick-<lb/> ſtoffgehalt des Saamens verzehrt haben?</p><lb/> <p>Kann eine Pflanze überhaupt in carrariſchem Marmor wach-<lb/> ſen, ſelbſt wenn ihr eine ſtickſtoffhaltige Materie dargeboten<lb/> wird, wenn man den Marmor mit kohlenſäurehaltigem Waſſer<lb/> begießt, was den Kalk auflöſ’t und ein ſaures kohlenſaures<lb/> Kalkſalz bildet? Eine Pflanze aus der Familie der Plumba-<lb/> gineen, bei denen die Blattoberfläche aus feinen hornartigen<lb/> oder ſchuppigen Auswüchſen von kriſtalliſirtem kohlenſauren Kalk<lb/> beſteht, würde vielleicht unter dieſen Umſtänden zur Entwicke-<lb/> lung kommen; daß aber die Kreſſe, der Kürbiß, die Balſami-<lb/> nen bei Abweſenheit des Stickſtoffs durch ſauren kohlenſauren<lb/> Kalk nicht ernährt werden können, daß letzterer als Gift wirkt,<lb/> dieß kann man als eine völlig durch dieſe Verſuche bewieſene<lb/> Thatſache annehmen, denn in reinem Waſſer, ohne Kalk und<lb/> Kohlenſäure, bringen es dieſe Pflanzen noch weiter.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41/0059]
Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
der Luft ſchwebt, daß kein einzelnes Stück der Unterlage trägt?
Sicherlich nicht. Und dennoch hat man den ſtrengſten Be-
weis geführt, daß jedes bezeichnete Stück hinweggenommen
werden kann, ohne daß die Säule umfällt.
Die Pflanzen- und Thierphyſiologen verfahren aber in Be-
ziehung auf den Aſimilationsproceß nicht anders. Ohne die
Bedingungen des Lebens, die Beſchaffenheit und Nahrungs-
mittel, die Natur und Beſtandtheile der Organe zu kennen,
ſtellen ſie Verſuche an, Verſuche, denen man Beweiskraft zu-
ſchreibt, während ſie Mitleid und Bedauern erwecken.
Iſt es möglich, eine Pflanze zur Entwickelung zu bringen,
wenn man ihr nicht neben Waſſer und Kohlenſäure eine ſtick-
ſtoffhaltige Materie giebt, die ſie zur Erzeugung der ſtickſtoff-
haltigen Beſtandtheile im Safte bedarf?
Muß ſie nicht bei allem Ueberfluß an Kohlenſäure ſterben,
wenn die wenigen Blätter, die ſich gebildet haben, den Stick-
ſtoffgehalt des Saamens verzehrt haben?
Kann eine Pflanze überhaupt in carrariſchem Marmor wach-
ſen, ſelbſt wenn ihr eine ſtickſtoffhaltige Materie dargeboten
wird, wenn man den Marmor mit kohlenſäurehaltigem Waſſer
begießt, was den Kalk auflöſ’t und ein ſaures kohlenſaures
Kalkſalz bildet? Eine Pflanze aus der Familie der Plumba-
gineen, bei denen die Blattoberfläche aus feinen hornartigen
oder ſchuppigen Auswüchſen von kriſtalliſirtem kohlenſauren Kalk
beſteht, würde vielleicht unter dieſen Umſtänden zur Entwicke-
lung kommen; daß aber die Kreſſe, der Kürbiß, die Balſami-
nen bei Abweſenheit des Stickſtoffs durch ſauren kohlenſauren
Kalk nicht ernährt werden können, daß letzterer als Gift wirkt,
dieß kann man als eine völlig durch dieſe Verſuche bewieſene
Thatſache annehmen, denn in reinem Waſſer, ohne Kalk und
Kohlenſäure, bringen es dieſe Pflanzen noch weiter.
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