9. Die in dem Magensaft vorhandene, im Zustand der Ver- änderung befindliche Materie ist, wie man kaum bezweifeln kann, ein Produkt der Umsetzung des Magens selbst. Keine mehr wie die Produkte, welche durch die fortschreitende Zersetzung der Leim- (Chondrin-?) gebenden Gebilde erzeugt werden, besitzen in so hohem Grade die Fähigkeit, in andern Stoffen eine Umse- tzung ihrer Bestandtheile hervorzurufen. Wenn man die Mem- branen des Magens irgend eines Thieres (den Labmagen des Kalbes z. B.) durch anhaltendes Waschen mit Wasser reinigt, so zeigt er keine Art von Wirkung, wenn er mit Zucker, Milch und andern Substanzen zusammengebracht wird; läßt man dieselben Membranen eine Zeitlang an der Luft liegen, oder trocknet man sie und bringt sie mit Wasser und den genann- ten Substanzen in Berührung, so verwandelt sich der Zucker, je nach dem Zustand der Zersetzung, in der sich die Thiersub- stanz befindet, in Milchsäure oder in Schleim und Mannit oder in Alkohol und Kohlensäure; die Milch wird davon au- genblicklich zum Gerinnen gebracht. Eine gewöhnliche Thier- blase behauptet in trocknem Zustande ihren Zustand und alle ihre Eigenschaften unverändert, aber bei Gegenwart von Feuchtigkeit und Luft geht sie einer Veränderung entgegen, ohne daß man diese durch besondere äußere Zeichen wahr- nimmt; wird sie in diesem Zustande in eine Auflösung von Milchzucker gelegt, so verwandelt sich dieser in kurzer Zeit in Milchsäure.
10. Frischer Labmagen des Kalbes, mit schwacher Salzsäure in Berührung, ertheilt dieser Flüssigkeit nicht die geringste
Der chemiſche Proceß der
9. Die in dem Magenſaft vorhandene, im Zuſtand der Ver- änderung befindliche Materie iſt, wie man kaum bezweifeln kann, ein Produkt der Umſetzung des Magens ſelbſt. Keine mehr wie die Produkte, welche durch die fortſchreitende Zerſetzung der Leim- (Chondrin-?) gebenden Gebilde erzeugt werden, beſitzen in ſo hohem Grade die Fähigkeit, in andern Stoffen eine Umſe- tzung ihrer Beſtandtheile hervorzurufen. Wenn man die Mem- branen des Magens irgend eines Thieres (den Labmagen des Kalbes z. B.) durch anhaltendes Waſchen mit Waſſer reinigt, ſo zeigt er keine Art von Wirkung, wenn er mit Zucker, Milch und andern Subſtanzen zuſammengebracht wird; läßt man dieſelben Membranen eine Zeitlang an der Luft liegen, oder trocknet man ſie und bringt ſie mit Waſſer und den genann- ten Subſtanzen in Berührung, ſo verwandelt ſich der Zucker, je nach dem Zuſtand der Zerſetzung, in der ſich die Thierſub- ſtanz befindet, in Milchſäure oder in Schleim und Mannit oder in Alkohol und Kohlenſäure; die Milch wird davon au- genblicklich zum Gerinnen gebracht. Eine gewöhnliche Thier- blaſe behauptet in trocknem Zuſtande ihren Zuſtand und alle ihre Eigenſchaften unverändert, aber bei Gegenwart von Feuchtigkeit und Luft geht ſie einer Veränderung entgegen, ohne daß man dieſe durch beſondere äußere Zeichen wahr- nimmt; wird ſie in dieſem Zuſtande in eine Auflöſung von Milchzucker gelegt, ſo verwandelt ſich dieſer in kurzer Zeit in Milchſäure.
10. Friſcher Labmagen des Kalbes, mit ſchwacher Salzſäure in Berührung, ertheilt dieſer Flüſſigkeit nicht die geringſte
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Der chemiſche Proceß der
9. Die in dem Magenſaft vorhandene, im Zuſtand der Ver-
änderung befindliche Materie iſt, wie man kaum bezweifeln kann,
ein Produkt der Umſetzung des Magens ſelbſt. Keine mehr wie
die Produkte, welche durch die fortſchreitende Zerſetzung der
Leim- (Chondrin-?) gebenden Gebilde erzeugt werden, beſitzen in
ſo hohem Grade die Fähigkeit, in andern Stoffen eine Umſe-
tzung ihrer Beſtandtheile hervorzurufen. Wenn man die Mem-
branen des Magens irgend eines Thieres (den Labmagen des
Kalbes z. B.) durch anhaltendes Waſchen mit Waſſer reinigt,
ſo zeigt er keine Art von Wirkung, wenn er mit Zucker, Milch
und andern Subſtanzen zuſammengebracht wird; läßt man
dieſelben Membranen eine Zeitlang an der Luft liegen, oder
trocknet man ſie und bringt ſie mit Waſſer und den genann-
ten Subſtanzen in Berührung, ſo verwandelt ſich der Zucker,
je nach dem Zuſtand der Zerſetzung, in der ſich die Thierſub-
ſtanz befindet, in Milchſäure oder in Schleim und Mannit
oder in Alkohol und Kohlenſäure; die Milch wird davon au-
genblicklich zum Gerinnen gebracht. Eine gewöhnliche Thier-
blaſe behauptet in trocknem Zuſtande ihren Zuſtand und alle
ihre Eigenſchaften unverändert, aber bei Gegenwart von
Feuchtigkeit und Luft geht ſie einer Veränderung entgegen,
ohne daß man dieſe durch beſondere äußere Zeichen wahr-
nimmt; wird ſie in dieſem Zuſtande in eine Auflöſung von
Milchzucker gelegt, ſo verwandelt ſich dieſer in kurzer Zeit
in Milchſäure.
10. Friſcher Labmagen des Kalbes, mit ſchwacher Salzſäure
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/136>, abgerufen am 21.11.2024.
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