Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Umsetzung der Gebilde.
rung gegen alle Schlüsse und Folgerungen, die man jetzt
oder zu irgend einer Zeit gegen die Ansichten daraus
ziehen könnte, welche ich in dem Vorhergehenden, mit dem
sie in keinerlei Verbindung stehen, entwickelt habe. Die
Resultate, zu denen ich gelangt bin, befremden mich nicht
minder und flößten mir die nämlichen Zweifel ein, die sie
in Andern erwecken werden, allein sie sind keine Schö-
pfungen der Phantasie, und ich gebe sie, weil ich die Ueber-
zeugung hege, daß der Weg, der zu ihrer Ermittelung ge-
führt hat, der einzige ist, auf welchem wir hoffen können,
Einsicht in die organischen Processe zu erlangen.

Alle die zahllosen qualitativen Untersuchungen thierischer
Substanzen sind absolut werthlos für die Physiologie so-
wohl, wie für die Chemie, so lange ihnen nicht ein ganz
bestimmter Zweck, eine deutlich ausgedrückte Frage unterlegt
wird.

Wenn wir in einem Satze, den wir entziffern wollen,
die Buchstaben auseinander nehmen und in eine Reihe stel-
len, so sind wir dem Sinne um keinen Schritt näher ge-
kommen. Um ein Räthsel zu lösen, müssen wir völlig klar
über die Aufgabe sein. Es giebt freilich viele Wege, um
die höchste Kuppe eines Berges zu erklimmen, allein nur die-
jenigen haben Hoffnung, dem Ziele sich zu nähern, welche
die Spitze im Auge behalten. Mit aller Arbeit und An-
strengung in einem Sumpfe erreicht man nichts weiter, als
daß man sich immer mehr mit Schlamm und Koth beladet,
das Höhersteigen wird durch selbstgeschaffene Schwierigkeiten

Umſetzung der Gebilde.
rung gegen alle Schlüſſe und Folgerungen, die man jetzt
oder zu irgend einer Zeit gegen die Anſichten daraus
ziehen könnte, welche ich in dem Vorhergehenden, mit dem
ſie in keinerlei Verbindung ſtehen, entwickelt habe. Die
Reſultate, zu denen ich gelangt bin, befremden mich nicht
minder und flößten mir die nämlichen Zweifel ein, die ſie
in Andern erwecken werden, allein ſie ſind keine Schö-
pfungen der Phantaſie, und ich gebe ſie, weil ich die Ueber-
zeugung hege, daß der Weg, der zu ihrer Ermittelung ge-
führt hat, der einzige iſt, auf welchem wir hoffen können,
Einſicht in die organiſchen Proceſſe zu erlangen.

Alle die zahlloſen qualitativen Unterſuchungen thieriſcher
Subſtanzen ſind abſolut werthlos für die Phyſiologie ſo-
wohl, wie für die Chemie, ſo lange ihnen nicht ein ganz
beſtimmter Zweck, eine deutlich ausgedrückte Frage unterlegt
wird.

Wenn wir in einem Satze, den wir entziffern wollen,
die Buchſtaben auseinander nehmen und in eine Reihe ſtel-
len, ſo ſind wir dem Sinne um keinen Schritt näher ge-
kommen. Um ein Räthſel zu löſen, müſſen wir völlig klar
über die Aufgabe ſein. Es giebt freilich viele Wege, um
die höchſte Kuppe eines Berges zu erklimmen, allein nur die-
jenigen haben Hoffnung, dem Ziele ſich zu nähern, welche
die Spitze im Auge behalten. Mit aller Arbeit und An-
ſtrengung in einem Sumpfe erreicht man nichts weiter, als
daß man ſich immer mehr mit Schlamm und Koth beladet,
das Höherſteigen wird durch ſelbſtgeſchaffene Schwierigkeiten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0157" n="133"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Um&#x017F;etzung der Gebilde</hi>.</fw><lb/>
rung gegen alle Schlü&#x017F;&#x017F;e und Folgerungen, die man jetzt<lb/>
oder zu irgend einer Zeit gegen die An&#x017F;ichten daraus<lb/>
ziehen könnte, welche ich in dem Vorhergehenden, mit dem<lb/>
&#x017F;ie in keinerlei Verbindung &#x017F;tehen, entwickelt habe. Die<lb/>
Re&#x017F;ultate, zu denen ich gelangt bin, befremden mich nicht<lb/>
minder und flößten mir die nämlichen Zweifel ein, die &#x017F;ie<lb/>
in Andern erwecken werden, allein &#x017F;ie &#x017F;ind keine Schö-<lb/>
pfungen der Phanta&#x017F;ie, und ich gebe &#x017F;ie, weil ich die Ueber-<lb/>
zeugung hege, daß der Weg, der zu ihrer Ermittelung ge-<lb/>
führt hat, der einzige i&#x017F;t, auf welchem wir hoffen können,<lb/>
Ein&#x017F;icht in die organi&#x017F;chen Proce&#x017F;&#x017F;e zu erlangen.</p><lb/>
          <p>Alle die zahllo&#x017F;en qualitativen Unter&#x017F;uchungen thieri&#x017F;cher<lb/>
Sub&#x017F;tanzen &#x017F;ind ab&#x017F;olut werthlos für die Phy&#x017F;iologie &#x017F;o-<lb/>
wohl, wie für die Chemie, &#x017F;o lange ihnen nicht ein ganz<lb/>
be&#x017F;timmter Zweck, eine deutlich ausgedrückte Frage unterlegt<lb/>
wird.</p><lb/>
          <p>Wenn wir in einem Satze, den wir entziffern wollen,<lb/>
die Buch&#x017F;taben auseinander nehmen und in eine Reihe &#x017F;tel-<lb/>
len, &#x017F;o &#x017F;ind wir dem Sinne um keinen Schritt näher ge-<lb/>
kommen. Um ein Räth&#x017F;el zu lö&#x017F;en, mü&#x017F;&#x017F;en wir völlig klar<lb/>
über die Aufgabe &#x017F;ein. Es giebt freilich viele Wege, um<lb/>
die höch&#x017F;te Kuppe eines Berges zu erklimmen, allein nur die-<lb/>
jenigen haben Hoffnung, dem Ziele &#x017F;ich zu nähern, welche<lb/>
die Spitze im Auge behalten. Mit aller Arbeit und An-<lb/>
&#x017F;trengung in einem Sumpfe erreicht man nichts weiter, als<lb/>
daß man &#x017F;ich immer mehr mit Schlamm und Koth beladet,<lb/>
das Höher&#x017F;teigen wird durch &#x017F;elb&#x017F;tge&#x017F;chaffene Schwierigkeiten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0157] Umſetzung der Gebilde. rung gegen alle Schlüſſe und Folgerungen, die man jetzt oder zu irgend einer Zeit gegen die Anſichten daraus ziehen könnte, welche ich in dem Vorhergehenden, mit dem ſie in keinerlei Verbindung ſtehen, entwickelt habe. Die Reſultate, zu denen ich gelangt bin, befremden mich nicht minder und flößten mir die nämlichen Zweifel ein, die ſie in Andern erwecken werden, allein ſie ſind keine Schö- pfungen der Phantaſie, und ich gebe ſie, weil ich die Ueber- zeugung hege, daß der Weg, der zu ihrer Ermittelung ge- führt hat, der einzige iſt, auf welchem wir hoffen können, Einſicht in die organiſchen Proceſſe zu erlangen. Alle die zahlloſen qualitativen Unterſuchungen thieriſcher Subſtanzen ſind abſolut werthlos für die Phyſiologie ſo- wohl, wie für die Chemie, ſo lange ihnen nicht ein ganz beſtimmter Zweck, eine deutlich ausgedrückte Frage unterlegt wird. Wenn wir in einem Satze, den wir entziffern wollen, die Buchſtaben auseinander nehmen und in eine Reihe ſtel- len, ſo ſind wir dem Sinne um keinen Schritt näher ge- kommen. Um ein Räthſel zu löſen, müſſen wir völlig klar über die Aufgabe ſein. Es giebt freilich viele Wege, um die höchſte Kuppe eines Berges zu erklimmen, allein nur die- jenigen haben Hoffnung, dem Ziele ſich zu nähern, welche die Spitze im Auge behalten. Mit aller Arbeit und An- ſtrengung in einem Sumpfe erreicht man nichts weiter, als daß man ſich immer mehr mit Schlamm und Koth beladet, das Höherſteigen wird durch ſelbſtgeſchaffene Schwierigkeiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/157
Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/157>, abgerufen am 07.05.2024.