Functionen der anderen Organe eine Grenze zu setzen, so ist die Wiederherstellung gewiß.
Zu der in diesen Fällen mit Geschick und Beobachtungs- gabe angewendeten Heilmethode fügt sich, man kann sagen zur Hülfe des kranken Körpertheils, die Lebenskraft der übri- gen, nicht ergriffenen Theile hinzu, denn durch Blutentziehung, durch Ausschluß der zur Blutbildung nöthigen Speise, nimmt ja auch auf sie die äußere Ursache der Störung ab, welche ihre eigne Lebenskraft im Gleichgewicht erhielt; ihre eigne Thätigkeit erhält ein Uebergewicht; der Stoffwechsel nimmt zwar im ganzen Körper ab, und damit die Bewegungs- erscheinungen, allein die Summe aller Widerstände zusam- mengenommen nimmt zu in dem Grade, wie der auf sie in dem Blute einwirkende Sauerstoff sich vermindert. In dem Gefühl von Hunger gelangt gewissermaßen dieser Wider- stand zum Bewußtsein, und die überwiegende Lebensthätig- keit zeigt sich bei vielen Verhungernden in einer abnormalen Zunahme oder einer abnormalen Umsetzung gewisser Theile von Organen. Mitleidenschaft heißt eine Uebertragung des geringern Widerstandes der Lebensthätigkeit von einem kranken Körpertheil nicht gerade auf die zunächstliegenden, sondern auf andere Organe, wenn die Functionen beider sich gegenseitig bedingen. Wenn die Verrichtungen des kranken Organs mit denen eines andern in Verbindung stehen, wenn das eine z. B. die Materien nicht mehr producirt, welche zur vitalen Function des andern gehören, so überträgt sich auf diese, wiewohl nur scheinbar, der Krankheitszustand.
Die Bewegungserſcheinungen
Functionen der anderen Organe eine Grenze zu ſetzen, ſo iſt die Wiederherſtellung gewiß.
Zu der in dieſen Fällen mit Geſchick und Beobachtungs- gabe angewendeten Heilmethode fügt ſich, man kann ſagen zur Hülfe des kranken Körpertheils, die Lebenskraft der übri- gen, nicht ergriffenen Theile hinzu, denn durch Blutentziehung, durch Ausſchluß der zur Blutbildung nöthigen Speiſe, nimmt ja auch auf ſie die äußere Urſache der Störung ab, welche ihre eigne Lebenskraft im Gleichgewicht erhielt; ihre eigne Thätigkeit erhält ein Uebergewicht; der Stoffwechſel nimmt zwar im ganzen Körper ab, und damit die Bewegungs- erſcheinungen, allein die Summe aller Widerſtände zuſam- mengenommen nimmt zu in dem Grade, wie der auf ſie in dem Blute einwirkende Sauerſtoff ſich vermindert. In dem Gefühl von Hunger gelangt gewiſſermaßen dieſer Wider- ſtand zum Bewußtſein, und die überwiegende Lebensthätig- keit zeigt ſich bei vielen Verhungernden in einer abnormalen Zunahme oder einer abnormalen Umſetzung gewiſſer Theile von Organen. Mitleidenſchaft heißt eine Uebertragung des geringern Widerſtandes der Lebensthätigkeit von einem kranken Körpertheil nicht gerade auf die zunächſtliegenden, ſondern auf andere Organe, wenn die Functionen beider ſich gegenſeitig bedingen. Wenn die Verrichtungen des kranken Organs mit denen eines andern in Verbindung ſtehen, wenn das eine z. B. die Materien nicht mehr producirt, welche zur vitalen Function des andern gehören, ſo überträgt ſich auf dieſe, wiewohl nur ſcheinbar, der Krankheitszuſtand.
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Die Bewegungserſcheinungen
Functionen der anderen Organe eine Grenze zu ſetzen, ſo iſt
die Wiederherſtellung gewiß.
Zu der in dieſen Fällen mit Geſchick und Beobachtungs-
gabe angewendeten Heilmethode fügt ſich, man kann ſagen
zur Hülfe des kranken Körpertheils, die Lebenskraft der übri-
gen, nicht ergriffenen Theile hinzu, denn durch Blutentziehung,
durch Ausſchluß der zur Blutbildung nöthigen Speiſe,
nimmt ja auch auf ſie die äußere Urſache der Störung ab,
welche ihre eigne Lebenskraft im Gleichgewicht erhielt; ihre
eigne Thätigkeit erhält ein Uebergewicht; der Stoffwechſel
nimmt zwar im ganzen Körper ab, und damit die Bewegungs-
erſcheinungen, allein die Summe aller Widerſtände zuſam-
mengenommen nimmt zu in dem Grade, wie der auf ſie in
dem Blute einwirkende Sauerſtoff ſich vermindert. In dem
Gefühl von Hunger gelangt gewiſſermaßen dieſer Wider-
ſtand zum Bewußtſein, und die überwiegende Lebensthätig-
keit zeigt ſich bei vielen Verhungernden in einer abnormalen
Zunahme oder einer abnormalen Umſetzung gewiſſer Theile
von Organen. Mitleidenſchaft heißt eine Uebertragung
des geringern Widerſtandes der Lebensthätigkeit von einem
kranken Körpertheil nicht gerade auf die zunächſtliegenden,
ſondern auf andere Organe, wenn die Functionen beider ſich
gegenſeitig bedingen. Wenn die Verrichtungen des kranken
Organs mit denen eines andern in Verbindung ſtehen, wenn
das eine z. B. die Materien nicht mehr producirt, welche
zur vitalen Function des andern gehören, ſo überträgt ſich
auf dieſe, wiewohl nur ſcheinbar, der Krankheitszuſtand.
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/290>, abgerufen am 22.11.2024.
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