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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842.

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Respiration und Ernährung.
wandtschaft des Wasserstoffs zum Sauerstoff bei weitem die
des Kohlenstoffs übertrifft.

Wir wissen in der That, daß die grasfressenden Thiere
ein dem eingeathmeten Sauerstoff gleiches Volum Kohlen-
säure wieder ausathmen, während bei den Fleischfressern, der
einzigen Thierklasse, welche Fett in ihrer Nahrung genießt,
mehr Sauerstoff aufgenommen wird, als dem ausgeathmeten
Kohlensäurevolum entspricht; bestimmte Versuche haben dar-
gethan, daß in manchen Fällen nur die Hälfte von dem Vo-
lumen des Sauerstoffs an Kohlensäuregas ausgeathmet wird.
Diese Beobachtungen sind keiner Widerlegung fähig, sie sind
überzeugender, als alle die künstlich und willkürlich hervor-
gerufenen Erscheinungen, die man Versuche nennt, Versuche,
welche, völlig entbehrlich, alles Gegengewichtes ermangeln,
wenn die Gelegenheit zur Beobachtung in der Natur sich
darbietet und diese Gelegenheit verständig benutzt wird.

Bei Hungernden verschwindet aber nicht allein das Fett,
sondern nach und nach alle der Löslichkeit fähigen, festen
Stoffe. In dem völlig abgezehrten Körper der Verhunger-
ten sind die Muskeln dünn und mürbe, der Contractibilität
beraubt, alle Theile des Körpers, welche fähig waren, in
den Zustand der Bewegung überzugehen, sie haben dazu ge-
dient, um den Rest der Gebilde vor der alles zerstörenden
Wirkung der Atmosphäre zu schützen; zuletzt nehmen die Be-
standtheile des Gehirns Antheil an diesem Oxydationsproceß,
es erfolgt Wahnsinn, Irrereden und der Tod, das heißt,
aller Widerstand hört völlig auf, es tritt der chemische Pro-

Reſpiration und Ernährung.
wandtſchaft des Waſſerſtoffs zum Sauerſtoff bei weitem die
des Kohlenſtoffs übertrifft.

Wir wiſſen in der That, daß die grasfreſſenden Thiere
ein dem eingeathmeten Sauerſtoff gleiches Volum Kohlen-
ſäure wieder ausathmen, während bei den Fleiſchfreſſern, der
einzigen Thierklaſſe, welche Fett in ihrer Nahrung genießt,
mehr Sauerſtoff aufgenommen wird, als dem ausgeathmeten
Kohlenſäurevolum entſpricht; beſtimmte Verſuche haben dar-
gethan, daß in manchen Fällen nur die Hälfte von dem Vo-
lumen des Sauerſtoffs an Kohlenſäuregas ausgeathmet wird.
Dieſe Beobachtungen ſind keiner Widerlegung fähig, ſie ſind
überzeugender, als alle die künſtlich und willkürlich hervor-
gerufenen Erſcheinungen, die man Verſuche nennt, Verſuche,
welche, völlig entbehrlich, alles Gegengewichtes ermangeln,
wenn die Gelegenheit zur Beobachtung in der Natur ſich
darbietet und dieſe Gelegenheit verſtändig benutzt wird.

Bei Hungernden verſchwindet aber nicht allein das Fett,
ſondern nach und nach alle der Löslichkeit fähigen, feſten
Stoffe. In dem völlig abgezehrten Körper der Verhunger-
ten ſind die Muskeln dünn und mürbe, der Contractibilität
beraubt, alle Theile des Körpers, welche fähig waren, in
den Zuſtand der Bewegung überzugehen, ſie haben dazu ge-
dient, um den Reſt der Gebilde vor der alles zerſtörenden
Wirkung der Atmoſphäre zu ſchützen; zuletzt nehmen die Be-
ſtandtheile des Gehirns Antheil an dieſem Oxydationsproceß,
es erfolgt Wahnſinn, Irrereden und der Tod, das heißt,
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[27/0051] Reſpiration und Ernährung. wandtſchaft des Waſſerſtoffs zum Sauerſtoff bei weitem die des Kohlenſtoffs übertrifft. Wir wiſſen in der That, daß die grasfreſſenden Thiere ein dem eingeathmeten Sauerſtoff gleiches Volum Kohlen- ſäure wieder ausathmen, während bei den Fleiſchfreſſern, der einzigen Thierklaſſe, welche Fett in ihrer Nahrung genießt, mehr Sauerſtoff aufgenommen wird, als dem ausgeathmeten Kohlenſäurevolum entſpricht; beſtimmte Verſuche haben dar- gethan, daß in manchen Fällen nur die Hälfte von dem Vo- lumen des Sauerſtoffs an Kohlenſäuregas ausgeathmet wird. Dieſe Beobachtungen ſind keiner Widerlegung fähig, ſie ſind überzeugender, als alle die künſtlich und willkürlich hervor- gerufenen Erſcheinungen, die man Verſuche nennt, Verſuche, welche, völlig entbehrlich, alles Gegengewichtes ermangeln, wenn die Gelegenheit zur Beobachtung in der Natur ſich darbietet und dieſe Gelegenheit verſtändig benutzt wird. Bei Hungernden verſchwindet aber nicht allein das Fett, ſondern nach und nach alle der Löslichkeit fähigen, feſten Stoffe. In dem völlig abgezehrten Körper der Verhunger- ten ſind die Muskeln dünn und mürbe, der Contractibilität beraubt, alle Theile des Körpers, welche fähig waren, in den Zuſtand der Bewegung überzugehen, ſie haben dazu ge- dient, um den Reſt der Gebilde vor der alles zerſtörenden Wirkung der Atmoſphäre zu ſchützen; zuletzt nehmen die Be- ſtandtheile des Gehirns Antheil an dieſem Oxydationsproceß, es erfolgt Wahnſinn, Irrereden und der Tod, das heißt, aller Widerſtand hört völlig auf, es tritt der chemiſche Pro-

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/51>, abgerufen am 29.04.2024.