Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.sollte, in den "welthistorischen" Kürassierstiefel zu schieben. Schon tauchen Die Haltung Oesterreichs ist bis zum letzten Moment eine schwan- Was ich über Frankreich gesagt, hat sich schnell erfüllt. Der neue Bezeichnend für die Stimmung in Frankreich und zwar in den Damals, Ende des 3. Jahres der 109. Olympiade, im Frühjahr *) Jn gewissen Kreisen zu Wien hat man sich durch den, von Rußland
hingehaltenen Köder der Annexion von Bosnien und der Herzegowina be- rücken lassen. "Die Dummen werden nicht alle" (siehe Punkt 10 und 11 des Testaments Peters des Großen). ſollte, in den „welthiſtoriſchen‟ Küraſſierſtiefel zu ſchieben. Schon tauchen Die Haltung Oeſterreichs iſt bis zum letzten Moment eine ſchwan- Was ich über Frankreich geſagt, hat ſich ſchnell erfüllt. Der neue Bezeichnend für die Stimmung in Frankreich und zwar in den Damals, Ende des 3. Jahres der 109. Olympiade, im Frühjahr *) Jn gewiſſen Kreiſen zu Wien hat man ſich durch den, von Rußland
hingehaltenen Köder der Annexion von Bosnien und der Herzegowina be- rücken laſſen. „Die Dummen werden nicht alle‟ (ſiehe Punkt 10 und 11 des Teſtaments Peters des Großen). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0044" n="40"/> ſollte, in den „welthiſtoriſchen‟ Küraſſierſtiefel zu ſchieben. Schon tauchen<lb/> dahin zielende Aeußerungen auf. Gegenüber ſolchen Verſuchen iſt auf<lb/> die Erklärung des engliſchen Miniſteriums hinzuweiſen — und auf die<lb/> Geſammthaltung der deutſchen Reichsregierung in der orientaliſchen<lb/> Frage.</p><lb/> <p>Die Haltung <hi rendition="#g">Oeſterreichs</hi> iſt bis zum letzten Moment eine ſchwan-<lb/> kende geblieben. Es hat zwiſchen deutſch-ruſſiſchen und engliſchen Ein-<lb/> flüſſen hin und her geſchwankt wie ein Schilfrohr, und bietet uns jetzt,<lb/> in der <hi rendition="#g">Stunde der Entſcheidung</hi> auch über <hi rendition="#g">Oeſterreichs Schickſal,</hi><lb/> das groteske Schauſpiel einer <hi rendition="#g">Kabinetskriſe</hi> wegen — des <hi rendition="#g">Kaffee-<lb/> zolls!</hi> Der Tag iſt nicht fern, wo man in der Kaiſerburg zu Wien<lb/> einſehen wird, daß die Zertrümmerung der Türkei zugleich die Zer-<lb/> trümmerung Oeſterreichs bedeutet, daß der Schwertſtreich oder Feder-<lb/> ſtrich, der das Osmanenreich aus der Welt ſchafft, auch dem Habs-<lb/> burgerreich den Tod gibt.<note place="foot" n="*)">Jn gewiſſen Kreiſen zu Wien hat man ſich durch den, von Rußland<lb/> hingehaltenen Köder der Annexion von <hi rendition="#g">Bosnien</hi> und der <hi rendition="#g">Herzegowina</hi> be-<lb/> rücken laſſen. „Die Dummen werden nicht alle‟ (ſiehe Punkt 10 und 11 des<lb/> Teſtaments Peters des Großen).</note> Wenn man es begreift, wird’s aber wohl<lb/> zu ſpät ſein. Nun — wir Socialdemokraten können warten. Dort<lb/> wie anderorts ſind wir „die lachenden Erben‟.</p><lb/> <p>Was ich über <hi rendition="#g">Frankreich</hi> geſagt, hat ſich ſchnell erfüllt. Der neue<lb/> franzöſiſche Miniſter des Auswärtigen, Waddington, erließ unmittel-<lb/> bar nach Eröffnung der türkiſch-engliſchen Mediationskampagne eine<lb/> Cirkularnote, in welcher er das Jntereſſe Frankreichs an der orienta-<lb/> liſchen Frage betonte — freilich unter Vermeidung jedes verletzenden oder<lb/> herausfordernden Worts. Jmmerhin war es die Ankündigung, <hi rendition="#g">daß<lb/> Frankreich wieder mitreden werde,</hi> und hat darum unſere<lb/> Mordspatrioten nichts weniger als angenehm berührt.</p><lb/> <p>Bezeichnend für die Stimmung in Frankreich und zwar in den<lb/><hi rendition="#g">maßgebenden</hi> Kreiſen, iſt ein Leitartikel, der vor einigen Tagen in<lb/> dem Organ des „<hi rendition="#g">Zukunfts</hi> präſidenten‟ <hi rendition="#g">Gambetta,</hi> in der <hi rendition="#aq">„République<lb/> Française‟</hi> erſchien. Der Verfaſſer greift in die Zeiten Philipps von<lb/> Macedonien zurück, und findet in einer der „Philippiken‟ des Demo-<lb/> ſthenes, in der Rede über die Angelegenheiten des Cherſoneſos (der heu-<lb/> tigen Halbinſel von Gallipoli), eine ſehr ſchöne Analogie der gegenwär-<lb/> tigen Lage.</p><lb/> <p>Damals, Ende des 3. Jahres der 109. Olympiade, im Frühjahr<lb/> 341 vor Chriſtus bedrohte Philipp die Stadt Byzanz (Conſtantinopel,<lb/> Stambul), und da die nördlichen Küſten des Schwarzen Meeres ge-<lb/> wiſſermaßen die Kornkammern Griechenlands waren, mußten die Athener,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0044]
ſollte, in den „welthiſtoriſchen‟ Küraſſierſtiefel zu ſchieben. Schon tauchen
dahin zielende Aeußerungen auf. Gegenüber ſolchen Verſuchen iſt auf
die Erklärung des engliſchen Miniſteriums hinzuweiſen — und auf die
Geſammthaltung der deutſchen Reichsregierung in der orientaliſchen
Frage.
Die Haltung Oeſterreichs iſt bis zum letzten Moment eine ſchwan-
kende geblieben. Es hat zwiſchen deutſch-ruſſiſchen und engliſchen Ein-
flüſſen hin und her geſchwankt wie ein Schilfrohr, und bietet uns jetzt,
in der Stunde der Entſcheidung auch über Oeſterreichs Schickſal,
das groteske Schauſpiel einer Kabinetskriſe wegen — des Kaffee-
zolls! Der Tag iſt nicht fern, wo man in der Kaiſerburg zu Wien
einſehen wird, daß die Zertrümmerung der Türkei zugleich die Zer-
trümmerung Oeſterreichs bedeutet, daß der Schwertſtreich oder Feder-
ſtrich, der das Osmanenreich aus der Welt ſchafft, auch dem Habs-
burgerreich den Tod gibt. *) Wenn man es begreift, wird’s aber wohl
zu ſpät ſein. Nun — wir Socialdemokraten können warten. Dort
wie anderorts ſind wir „die lachenden Erben‟.
Was ich über Frankreich geſagt, hat ſich ſchnell erfüllt. Der neue
franzöſiſche Miniſter des Auswärtigen, Waddington, erließ unmittel-
bar nach Eröffnung der türkiſch-engliſchen Mediationskampagne eine
Cirkularnote, in welcher er das Jntereſſe Frankreichs an der orienta-
liſchen Frage betonte — freilich unter Vermeidung jedes verletzenden oder
herausfordernden Worts. Jmmerhin war es die Ankündigung, daß
Frankreich wieder mitreden werde, und hat darum unſere
Mordspatrioten nichts weniger als angenehm berührt.
Bezeichnend für die Stimmung in Frankreich und zwar in den
maßgebenden Kreiſen, iſt ein Leitartikel, der vor einigen Tagen in
dem Organ des „Zukunfts präſidenten‟ Gambetta, in der „République
Française‟ erſchien. Der Verfaſſer greift in die Zeiten Philipps von
Macedonien zurück, und findet in einer der „Philippiken‟ des Demo-
ſthenes, in der Rede über die Angelegenheiten des Cherſoneſos (der heu-
tigen Halbinſel von Gallipoli), eine ſehr ſchöne Analogie der gegenwär-
tigen Lage.
Damals, Ende des 3. Jahres der 109. Olympiade, im Frühjahr
341 vor Chriſtus bedrohte Philipp die Stadt Byzanz (Conſtantinopel,
Stambul), und da die nördlichen Küſten des Schwarzen Meeres ge-
wiſſermaßen die Kornkammern Griechenlands waren, mußten die Athener,
*) Jn gewiſſen Kreiſen zu Wien hat man ſich durch den, von Rußland
hingehaltenen Köder der Annexion von Bosnien und der Herzegowina be-
rücken laſſen. „Die Dummen werden nicht alle‟ (ſiehe Punkt 10 und 11 des
Teſtaments Peters des Großen).
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