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Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.

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obgleich sie mit Byzanz auf schlechtem Fuß standen, auf Mittel und
Wege sinnen, wie man den macedonischen Eroberer hindern könnte, sich
zum Herrn der Zugänge des Pontus Euxinus (Schwarzen Meeres) zu
machen. Bei dieser Gelegenheit sagte Demosthenes:

"Jn dem gegenwärtigen Augenblicke weilt dieser Mensch (Philippos)
an der Spitze großer Streitkräfte in Thracien (heute Rumänien) und wie
es heißt, zieht er aus dem Jnnern seiner Staaten noch neue Truppen
herbei. Wenn er also die günstige Jahreszeit abwartet und dann auf
Byzanz marschirt, um es zu belagern, glaubt Jhr etwa, daß die By-
zantiner in der stumpfen Gleichgiltigkeit, in der sie heut befangen sind,
verharren und uns nicht vielmehr zu Hilfe rufen werden? Nein, ich
glaube es nicht, und wenn es selbst Leute geben sollte, denen sie noch
weniger trauten, als uns, so würden sie lieber die Stadt diesen Leuten
ausliefern, als den Philippos in dieselbe eindringen lassen, es sei denn,
daß er sich ihrer mit Gewalt bemächtige. Darum müssen wir ihnen
also von Athen eine Flotte schicken; denn sie sind ihrer Vertheidigungs-
mittel baar und wenn wir ihnen nicht zu Hilfe kommen, wird nichts
ihre vollständige Vernichtung verhindern. Aber, wird vielleicht Jemand
sagen, diese Leute sind besessen und ihre Tollheit übersteigt alle Grenzen.
Zugegeben, aber gleichwohl müssen wir sie retten,
denn dies ist für unsere Stadt von Wichtigkeit.
"

Nach dieser klassischen Reminiscenz prüst das Organ Gambetta's
die verschiedenen in diesem Jahrhundert versuchten Lösungen der Dar-
danellenfrage: 1) nach dem Vertrage von Unkiar-Skelessi (8. Juli 1833)
Schließung der Meerenge für alle anderen Mächte zu Gun-
sten Rußlands,
welches allein das Recht der Durchfahrt hat;
2) nach der Convention vom 13. Juli 1841 Schließung der Meer-
enge für alle Mächte ohne Ausnahme, 3) wie es jetzt von
Rußland gefordert zu werden scheint, freier Verkehr durch die
Dardanellen für Jedermann. Die "Republique Francaise" besinnt
sich nicht lange, welche der drei Lösungen für die beste zu halten. Sie
schreibt bestimmt:

"Die einzige Lösung der Frage, die uns mit dem europäischen
Frieden und mit der Sicherheit der Mittelmeer-Mächte vereinbar scheint,
ist die der Convention vom 13. Juli 1841, die absolute Schließung
der Dardanellen.
Wie slavenfreundlich Herr Gladstone auch ge-
sinnt sein mag, so können wir doch nicht glauben, daß er dieser Lösung,
sei es die gänzlich freie Durchfahrt oder die geheime Klausel von Un-
kiar-Skelessi vorziehen sollte. Man darf es sich nicht verhehlen: die
Dardanellen für Rußland geöffnet oder Konstantinopel in den Händen
des Zaren, das kommt so ziemlich auf dasselbe hinaus. Die Aufhebung
des Dardanellenvertrags bedeutet, daß die Türkei fortan der Vasall

obgleich ſie mit Byzanz auf ſchlechtem Fuß ſtanden, auf Mittel und
Wege ſinnen, wie man den macedoniſchen Eroberer hindern könnte, ſich
zum Herrn der Zugänge des Pontus Euxinus (Schwarzen Meeres) zu
machen. Bei dieſer Gelegenheit ſagte Demoſthenes:

„Jn dem gegenwärtigen Augenblicke weilt dieſer Menſch (Philippos)
an der Spitze großer Streitkräfte in Thracien (heute Rumänien) und wie
es heißt, zieht er aus dem Jnnern ſeiner Staaten noch neue Truppen
herbei. Wenn er alſo die günſtige Jahreszeit abwartet und dann auf
Byzanz marſchirt, um es zu belagern, glaubt Jhr etwa, daß die By-
zantiner in der ſtumpfen Gleichgiltigkeit, in der ſie heut befangen ſind,
verharren und uns nicht vielmehr zu Hilfe rufen werden? Nein, ich
glaube es nicht, und wenn es ſelbſt Leute geben ſollte, denen ſie noch
weniger trauten, als uns, ſo würden ſie lieber die Stadt dieſen Leuten
ausliefern, als den Philippos in dieſelbe eindringen laſſen, es ſei denn,
daß er ſich ihrer mit Gewalt bemächtige. Darum müſſen wir ihnen
alſo von Athen eine Flotte ſchicken; denn ſie ſind ihrer Vertheidigungs-
mittel baar und wenn wir ihnen nicht zu Hilfe kommen, wird nichts
ihre vollſtändige Vernichtung verhindern. Aber, wird vielleicht Jemand
ſagen, dieſe Leute ſind beſeſſen und ihre Tollheit überſteigt alle Grenzen.
Zugegeben, aber gleichwohl müſſen wir ſie retten,
denn dies iſt für unſere Stadt von Wichtigkeit.

Nach dieſer klaſſiſchen Reminiscenz prüſt das Organ Gambetta’s
die verſchiedenen in dieſem Jahrhundert verſuchten Löſungen der Dar-
danellenfrage: 1) nach dem Vertrage von Unkiar-Skeleſſi (8. Juli 1833)
Schließung der Meerenge für alle anderen Mächte zu Gun-
ſten Rußlands,
welches allein das Recht der Durchfahrt hat;
2) nach der Convention vom 13. Juli 1841 Schließung der Meer-
enge für alle Mächte ohne Ausnahme, 3) wie es jetzt von
Rußland gefordert zu werden ſcheint, freier Verkehr durch die
Dardanellen für Jedermann. Die „Republique Française‟ beſinnt
ſich nicht lange, welche der drei Löſungen für die beſte zu halten. Sie
ſchreibt beſtimmt:

„Die einzige Löſung der Frage, die uns mit dem europäiſchen
Frieden und mit der Sicherheit der Mittelmeer-Mächte vereinbar ſcheint,
iſt die der Convention vom 13. Juli 1841, die abſolute Schließung
der Dardanellen.
Wie ſlavenfreundlich Herr Gladſtone auch ge-
ſinnt ſein mag, ſo können wir doch nicht glauben, daß er dieſer Löſung,
ſei es die gänzlich freie Durchfahrt oder die geheime Klauſel von Un-
kiar-Skeleſſi vorziehen ſollte. Man darf es ſich nicht verhehlen: die
Dardanellen für Rußland geöffnet oder Konſtantinopel in den Händen
des Zaren, das kommt ſo ziemlich auf daſſelbe hinaus. Die Aufhebung
des Dardanellenvertrags bedeutet, daß die Türkei fortan der Vaſall

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[41/0045] obgleich ſie mit Byzanz auf ſchlechtem Fuß ſtanden, auf Mittel und Wege ſinnen, wie man den macedoniſchen Eroberer hindern könnte, ſich zum Herrn der Zugänge des Pontus Euxinus (Schwarzen Meeres) zu machen. Bei dieſer Gelegenheit ſagte Demoſthenes: „Jn dem gegenwärtigen Augenblicke weilt dieſer Menſch (Philippos) an der Spitze großer Streitkräfte in Thracien (heute Rumänien) und wie es heißt, zieht er aus dem Jnnern ſeiner Staaten noch neue Truppen herbei. Wenn er alſo die günſtige Jahreszeit abwartet und dann auf Byzanz marſchirt, um es zu belagern, glaubt Jhr etwa, daß die By- zantiner in der ſtumpfen Gleichgiltigkeit, in der ſie heut befangen ſind, verharren und uns nicht vielmehr zu Hilfe rufen werden? Nein, ich glaube es nicht, und wenn es ſelbſt Leute geben ſollte, denen ſie noch weniger trauten, als uns, ſo würden ſie lieber die Stadt dieſen Leuten ausliefern, als den Philippos in dieſelbe eindringen laſſen, es ſei denn, daß er ſich ihrer mit Gewalt bemächtige. Darum müſſen wir ihnen alſo von Athen eine Flotte ſchicken; denn ſie ſind ihrer Vertheidigungs- mittel baar und wenn wir ihnen nicht zu Hilfe kommen, wird nichts ihre vollſtändige Vernichtung verhindern. Aber, wird vielleicht Jemand ſagen, dieſe Leute ſind beſeſſen und ihre Tollheit überſteigt alle Grenzen. Zugegeben, aber gleichwohl müſſen wir ſie retten, denn dies iſt für unſere Stadt von Wichtigkeit.‟ Nach dieſer klaſſiſchen Reminiscenz prüſt das Organ Gambetta’s die verſchiedenen in dieſem Jahrhundert verſuchten Löſungen der Dar- danellenfrage: 1) nach dem Vertrage von Unkiar-Skeleſſi (8. Juli 1833) Schließung der Meerenge für alle anderen Mächte zu Gun- ſten Rußlands, welches allein das Recht der Durchfahrt hat; 2) nach der Convention vom 13. Juli 1841 Schließung der Meer- enge für alle Mächte ohne Ausnahme, 3) wie es jetzt von Rußland gefordert zu werden ſcheint, freier Verkehr durch die Dardanellen für Jedermann. Die „Republique Française‟ beſinnt ſich nicht lange, welche der drei Löſungen für die beſte zu halten. Sie ſchreibt beſtimmt: „Die einzige Löſung der Frage, die uns mit dem europäiſchen Frieden und mit der Sicherheit der Mittelmeer-Mächte vereinbar ſcheint, iſt die der Convention vom 13. Juli 1841, die abſolute Schließung der Dardanellen. Wie ſlavenfreundlich Herr Gladſtone auch ge- ſinnt ſein mag, ſo können wir doch nicht glauben, daß er dieſer Löſung, ſei es die gänzlich freie Durchfahrt oder die geheime Klauſel von Un- kiar-Skeleſſi vorziehen ſollte. Man darf es ſich nicht verhehlen: die Dardanellen für Rußland geöffnet oder Konſtantinopel in den Händen des Zaren, das kommt ſo ziemlich auf daſſelbe hinaus. Die Aufhebung des Dardanellenvertrags bedeutet, daß die Türkei fortan der Vaſall

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Zitationshilfe: Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebknecht_frage_1878/45>, abgerufen am 23.11.2024.