Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.Rußlands, daß Egypten und die Landenge von Suez in einer nahen So die "Republique Francaise". Man darf sich indeß keinen Mein Urtheil über die russische Militärmacht ist durch die Ebenso wenig kann ich zurücknehmen, was ich über die Wider- Rußlands, daß Egypten und die Landenge von Suez in einer nahen So die „République Française‟. Man darf ſich indeß keinen Mein Urtheil über die ruſſiſche Militärmacht iſt durch die Ebenſo wenig kann ich zurücknehmen, was ich über die Wider- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0046" n="42"/> Rußlands, daß Egypten und die Landenge von Suez in einer nahen<lb/> Zukunft ebenfalls von Rußland abhängig ſind, daß die Seeſtraße nach<lb/> Jndien den ruſſiſchen Flotten geöffnet, das Gleichgewicht im Mittelmeer<lb/> für immer zerſtört iſt. Und wenn alle dieſe Erwägungen Herrn Glad-<lb/> ſtone noch nicht genügen ſollten, ſo möge dieſer leidenſchaftliche Helleniſt<lb/> doch die Rede des Demoſthenes über die Angelegenheiten des Cher-<lb/> ſoneſos nachleſen und über die merkwürdigen Worte ſinnen, die wir<lb/> oben anführten: „Byzanz muß gerettet werden, denn das iſt für unſere<lb/> Stadt von Wichtigkeit.‟ Vor allen Dingen darf die Dardanellen-Frage<lb/> in Kaſanlik (oder Adrianopel) nicht, wenn uns der Ausdruck geſtattet<lb/> iſt, <hi rendition="#g">wegſtipitzt</hi> werden. Die Frage der Dardanellen iſt <hi rendition="#g">eine euro-<lb/> päiſche Frage.</hi> Sie <hi rendition="#g">kann und darf nur von ganz Europa<lb/> entſchieden</hi> werden. Jede andere Löſung wäre nur eine Kriegsſaat,<lb/> die vielleicht ſchon in einer nahen Zukunft blutig aufgehen würde.‟</p><lb/> <p>So die <hi rendition="#aq">„République Française‟.</hi> Man darf ſich indeß keinen<lb/> Jlluſionen hingeben: Frankreich kann und wird in dieſem Jahrzehnt<lb/> keine Politik der <hi rendition="#g">Jnitiative</hi> befolgen — nur dann in die Aktion ein-<lb/> treten, wenn England vorgegangen iſt.</p><lb/> <p>Mein Urtheil über die <hi rendition="#g">ruſſiſche Militärmacht</hi> iſt durch die<lb/> neueſten „glorreichen Siege‟ nicht verändert worden. Einmal gehöre<lb/> ich nicht zu den Leuten, die ſich durch den Erfolg des Augenblicks<lb/> blenden laſſen, und dann iſt der Glorienſchein dieſer „Siege‟ durchaus<lb/> nicht darnach angethan, eine unbefangene Kritik zu vertragen. Die Durch-<lb/> brechung des Schipkapaſſes iſt notoriſch bloß gelungen, weil die Türken den<lb/> Waffenſtillſtand abgeſchloſſen glaubten und darum die nöthigen Vorſichts-<lb/> maßregeln verſäumt hatten; und die gegenwärtige Lage auf dem Kriegs-<lb/> ſchauplatz iſt trotzdem für die Ruffen keineswegs ſo günſtig, wie die<lb/> Rubelpreſſe uns vorſchwindelt. Die Donaubrücken ſind zerſtört, die<lb/> Verproviantirung der ruſſiſchen Armee iſt auf das Bedenklichſte er-<lb/> ſchwert, und ein Vormarſch der jenſeits des Balkans ſtehenden Truppen,<lb/> auch ohne Eingreifen anderer Mächte, mit den größten Gefahren ver-<lb/> bunden.</p><lb/> <p>Ebenſo wenig kann ich zurücknehmen, was ich über die <hi rendition="#g">Wider-<lb/> ſtandskraft der Türkei</hi> geſagt. Die türkiſche Armee hat ſich aus-<lb/> gezeichnet geſchlagen, das türkiſche Volk eine Tüchtigkeit bewieſen, die<lb/> Niemand ihm zugetraut hätte. Aber die herrſchende Klaſſe taugt nichts<lb/> — das hat die Türkei mit andern Ländern gemein —; das ruſſiſche<lb/><hi rendition="#g">Gold,</hi> „der Rubel auf Reiſen‟ hat an den ruſſiſchen „Siegen‟ mehr<lb/> Antheil als das ruſſiſche <hi rendition="#g">Eiſen. Kars</hi> iſt von den Ruſſen <hi rendition="#g">gekauft</hi><lb/> worden; und daß der „Hofkriegsrath‟ in Konſtantinopel die tapfere<lb/> Armee ſchmählich im Stich gelaſſen hat, ihr keine Verſtärkungen, keine<lb/> Kleider, keinen Proviant zugeſchickt — kurz die einfachſten, nächſtliegen-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0046]
Rußlands, daß Egypten und die Landenge von Suez in einer nahen
Zukunft ebenfalls von Rußland abhängig ſind, daß die Seeſtraße nach
Jndien den ruſſiſchen Flotten geöffnet, das Gleichgewicht im Mittelmeer
für immer zerſtört iſt. Und wenn alle dieſe Erwägungen Herrn Glad-
ſtone noch nicht genügen ſollten, ſo möge dieſer leidenſchaftliche Helleniſt
doch die Rede des Demoſthenes über die Angelegenheiten des Cher-
ſoneſos nachleſen und über die merkwürdigen Worte ſinnen, die wir
oben anführten: „Byzanz muß gerettet werden, denn das iſt für unſere
Stadt von Wichtigkeit.‟ Vor allen Dingen darf die Dardanellen-Frage
in Kaſanlik (oder Adrianopel) nicht, wenn uns der Ausdruck geſtattet
iſt, wegſtipitzt werden. Die Frage der Dardanellen iſt eine euro-
päiſche Frage. Sie kann und darf nur von ganz Europa
entſchieden werden. Jede andere Löſung wäre nur eine Kriegsſaat,
die vielleicht ſchon in einer nahen Zukunft blutig aufgehen würde.‟
So die „République Française‟. Man darf ſich indeß keinen
Jlluſionen hingeben: Frankreich kann und wird in dieſem Jahrzehnt
keine Politik der Jnitiative befolgen — nur dann in die Aktion ein-
treten, wenn England vorgegangen iſt.
Mein Urtheil über die ruſſiſche Militärmacht iſt durch die
neueſten „glorreichen Siege‟ nicht verändert worden. Einmal gehöre
ich nicht zu den Leuten, die ſich durch den Erfolg des Augenblicks
blenden laſſen, und dann iſt der Glorienſchein dieſer „Siege‟ durchaus
nicht darnach angethan, eine unbefangene Kritik zu vertragen. Die Durch-
brechung des Schipkapaſſes iſt notoriſch bloß gelungen, weil die Türken den
Waffenſtillſtand abgeſchloſſen glaubten und darum die nöthigen Vorſichts-
maßregeln verſäumt hatten; und die gegenwärtige Lage auf dem Kriegs-
ſchauplatz iſt trotzdem für die Ruffen keineswegs ſo günſtig, wie die
Rubelpreſſe uns vorſchwindelt. Die Donaubrücken ſind zerſtört, die
Verproviantirung der ruſſiſchen Armee iſt auf das Bedenklichſte er-
ſchwert, und ein Vormarſch der jenſeits des Balkans ſtehenden Truppen,
auch ohne Eingreifen anderer Mächte, mit den größten Gefahren ver-
bunden.
Ebenſo wenig kann ich zurücknehmen, was ich über die Wider-
ſtandskraft der Türkei geſagt. Die türkiſche Armee hat ſich aus-
gezeichnet geſchlagen, das türkiſche Volk eine Tüchtigkeit bewieſen, die
Niemand ihm zugetraut hätte. Aber die herrſchende Klaſſe taugt nichts
— das hat die Türkei mit andern Ländern gemein —; das ruſſiſche
Gold, „der Rubel auf Reiſen‟ hat an den ruſſiſchen „Siegen‟ mehr
Antheil als das ruſſiſche Eiſen. Kars iſt von den Ruſſen gekauft
worden; und daß der „Hofkriegsrath‟ in Konſtantinopel die tapfere
Armee ſchmählich im Stich gelaſſen hat, ihr keine Verſtärkungen, keine
Kleider, keinen Proviant zugeſchickt — kurz die einfachſten, nächſtliegen-
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