Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].Bleib hier, bleib hier, bis Tageslicht Und letztes Rot verblassen. "Ach, Liebster, länger darf ich nicht Die Mutter warten lassen." Bleib hier, ich zeige dir den Stern, Wo einst wir uns gesehen. Sieht er uns hier vom Himmel fern, Dann bleibt er grüßend stehen. "Laß mich, Herzallerliebster mein, Die Mutter sucht im Garten". So schleiche dir ich hinterdrein, Und will im Dunkel warten. Wenn alles schwarz und still im Haus, Dann wart' ich in der Laube. Wenn alles still, dann komm heraus, Du meine weiße Taube. Es klinkt die Thür, und gleich darauf Huscht sie zu mir hernieder, "Pst, nicht so stürmisch, hör' doch auf, Du weckst die Mutter wieder." Von tausend Welten überdacht, Die ruhig weiter gehen. Es zog ein Stern um Mitternacht, Und grüßend blieb er stehen. Bleib hier, bleib hier, bis Tageslicht Und letztes Rot verblaſſen. „Ach, Liebſter, länger darf ich nicht Die Mutter warten laſſen.“ Bleib hier, ich zeige dir den Stern, Wo einſt wir uns geſehen. Sieht er uns hier vom Himmel fern, Dann bleibt er grüßend ſtehen. „Laß mich, Herzallerliebſter mein, Die Mutter ſucht im Garten“. So ſchleiche dir ich hinterdrein, Und will im Dunkel warten. Wenn alles ſchwarz und ſtill im Haus, Dann wart’ ich in der Laube. Wenn alles ſtill, dann komm heraus, Du meine weiße Taube. Es klinkt die Thür, und gleich darauf Huſcht ſie zu mir hernieder, „Pſt, nicht ſo ſtürmiſch, hör’ doch auf, Du weckſt die Mutter wieder.“ Von tauſend Welten überdacht, Die ruhig weiter gehen. Es zog ein Stern um Mitternacht, Und grüßend blieb er ſtehen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0082" n="74"/> <lg n="14"> <l>Bleib hier, bleib hier, bis Tageslicht</l><lb/> <l>Und letztes Rot verblaſſen.</l><lb/> <l>„Ach, Liebſter, länger darf ich nicht</l><lb/> <l>Die Mutter warten laſſen.“</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Bleib hier, ich zeige dir den Stern,</l><lb/> <l>Wo einſt wir uns geſehen.</l><lb/> <l>Sieht er uns hier vom Himmel fern,</l><lb/> <l>Dann bleibt er grüßend ſtehen.</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>„Laß mich, Herzallerliebſter mein,</l><lb/> <l>Die Mutter ſucht im Garten“.</l><lb/> <l>So ſchleiche dir ich hinterdrein,</l><lb/> <l>Und will im Dunkel warten.</l> </lg><lb/> <lg n="17"> <l>Wenn alles ſchwarz und ſtill im Haus,</l><lb/> <l>Dann wart’ ich in der Laube.</l><lb/> <l>Wenn alles ſtill, dann komm heraus,</l><lb/> <l>Du meine weiße Taube.</l> </lg><lb/> <lg n="18"> <l>Es klinkt die Thür, und gleich darauf</l><lb/> <l>Huſcht ſie zu mir hernieder,</l><lb/> <l>„Pſt, nicht ſo ſtürmiſch, hör’ doch auf,</l><lb/> <l>Du weckſt die Mutter wieder.“</l> </lg><lb/> <lg n="19"> <l>Von tauſend Welten überdacht,</l><lb/> <l>Die ruhig weiter gehen.</l><lb/> <l>Es zog ein Stern um Mitternacht,</l><lb/> <l>Und grüßend blieb er ſtehen.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </body> </text> </TEI> [74/0082]
Bleib hier, bleib hier, bis Tageslicht
Und letztes Rot verblaſſen.
„Ach, Liebſter, länger darf ich nicht
Die Mutter warten laſſen.“
Bleib hier, ich zeige dir den Stern,
Wo einſt wir uns geſehen.
Sieht er uns hier vom Himmel fern,
Dann bleibt er grüßend ſtehen.
„Laß mich, Herzallerliebſter mein,
Die Mutter ſucht im Garten“.
So ſchleiche dir ich hinterdrein,
Und will im Dunkel warten.
Wenn alles ſchwarz und ſtill im Haus,
Dann wart’ ich in der Laube.
Wenn alles ſtill, dann komm heraus,
Du meine weiße Taube.
Es klinkt die Thür, und gleich darauf
Huſcht ſie zu mir hernieder,
„Pſt, nicht ſo ſtürmiſch, hör’ doch auf,
Du weckſt die Mutter wieder.“
Von tauſend Welten überdacht,
Die ruhig weiter gehen.
Es zog ein Stern um Mitternacht,
Und grüßend blieb er ſtehen.
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