Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.war natürlich nur möglich, wenn durch Aenderung der Satzungen Dahin aber drängten noch andere machtvolle Einflüsse, Die Stimmrechtsbewegung kann in einer solchen Zeit nicht war natürlich nur möglich, wenn durch Aenderung der Satzungen Dahin aber drängten noch andere machtvolle Einflüsse, Die Stimmrechtsbewegung kann in einer solchen Zeit nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="15"/> war natürlich nur möglich, wenn durch Aenderung der Satzungen<lb/> das <hi rendition="#g">allgemeine, gleiche Wahlrecht</hi> zum <hi rendition="#g">Programm-<lb/> punkt</hi> gemacht wurde.</p><lb/> <p>Dahin aber drängten noch andere machtvolle Einflüsse,<lb/> nämlich die immer wachsende Bewegung für eine <hi rendition="#g">Reform des<lb/> Dreiklassenwahlrechtes</hi> zum Preußischen Abgeordneten-<lb/> hause. Bereits 1893 hatten die Freisinnigen einen Antrag auf Be-<lb/> seitigung gestellt und waren dabei damals auch vom Zentrum unter-<lb/> stützt worden, freilich mehr theoretisch als praktisch. Die Tätigkeit<lb/> der Linksliberalen war infolge der zahlenmäßigen Schwäche der<lb/> Partei belanglos geblieben. Die Sozialdemokratie aber hatte das<lb/> Parlament des größten und führenden Bundesstaates mit Ver-<lb/> achtung gestraft. Die knappen Berichte der sozialdemokratischen<lb/> Zeitungen über das, was dort verhandelt wurde, sorgten dafür, daß<lb/> kein Genosse sich der Bedeutung gerade dieses Parlamentes für<lb/> Deutschland bewußt wurde. Das Wort des alten Liebknecht: „Was<lb/> geht uns der preußische Landtag an? Den lassen wir verfaulen!‟<lb/> deckte lange diese realpolitische Blöße zu. Aber auch die Sozial-<lb/> demokratie wuchs endlich in den Gegenwartsstaat mit allen seinen<lb/> realen Bedingungen hinein, die Führer erkannten den schweren<lb/> Fehler, und die Teilnahme am preußischen Wahlkampf wurde auf<lb/> dem Mainzer Parteitage 1900 beschlossen. Damit begann eine<lb/> starke Bewegung für Wahlreform in Preußen, d. h. für Beseitigung<lb/> des Dreiklassenwahlrechtes. Die Linksliberalen, die ja lange der<lb/> einsame Vorkämpfer gewesen waren, schlossen sich kräftig an, und<lb/> der ganze Kampf wurde zu einer politischen Frage erster Ordnung.<lb/> Die Debatten fluteten in den Reichstag hinüber und erfüllten die<lb/> Zeitungen aller Richtungen.</p><lb/> <p>Die Stimmrechtsbewegung kann in einer solchen Zeit nicht<lb/> untätig bleiben. Sie ist ja nichts anderes als der Ausdruck des<lb/> politischen Willens der Frauen der Nation. <hi rendition="#g">Jrgendwie</hi> muß<lb/> sie Stellung nehmen, <hi rendition="#g">irgendeinen Fortschritt</hi> muß sie<lb/> zu erringen suchen. Die Erfahrungen im Auslande weisen auch<lb/> mit Entschiedenheit diesen Weg. Die finnischen und dänischen<lb/> Frauen wurden in einer Zeit großer Wahlrechtsreformen voll-<lb/> berechtigte Bürger ihres Vaterlandes, in Ungarn wurde in einer<lb/> gleichen Zeit eine kraftvolle bürgerliche Stimmrechtsbewegung ge-<lb/> boren. Die deutsche Stimmrechtsbewegung konnte zwei Wege<lb/> gehen. Sie konnte sich der auf internationalen Kongressen ver-<lb/> einbarten Formel bedienen: „Wir fordern das Wahlrecht, das die<lb/> Männer haben oder haben werden‟, und sie konnte sich kurz und<lb/>   </p> </div> </body> </text> </TEI> [15/0015]
war natürlich nur möglich, wenn durch Aenderung der Satzungen
das allgemeine, gleiche Wahlrecht zum Programm-
punkt gemacht wurde.
Dahin aber drängten noch andere machtvolle Einflüsse,
nämlich die immer wachsende Bewegung für eine Reform des
Dreiklassenwahlrechtes zum Preußischen Abgeordneten-
hause. Bereits 1893 hatten die Freisinnigen einen Antrag auf Be-
seitigung gestellt und waren dabei damals auch vom Zentrum unter-
stützt worden, freilich mehr theoretisch als praktisch. Die Tätigkeit
der Linksliberalen war infolge der zahlenmäßigen Schwäche der
Partei belanglos geblieben. Die Sozialdemokratie aber hatte das
Parlament des größten und führenden Bundesstaates mit Ver-
achtung gestraft. Die knappen Berichte der sozialdemokratischen
Zeitungen über das, was dort verhandelt wurde, sorgten dafür, daß
kein Genosse sich der Bedeutung gerade dieses Parlamentes für
Deutschland bewußt wurde. Das Wort des alten Liebknecht: „Was
geht uns der preußische Landtag an? Den lassen wir verfaulen!‟
deckte lange diese realpolitische Blöße zu. Aber auch die Sozial-
demokratie wuchs endlich in den Gegenwartsstaat mit allen seinen
realen Bedingungen hinein, die Führer erkannten den schweren
Fehler, und die Teilnahme am preußischen Wahlkampf wurde auf
dem Mainzer Parteitage 1900 beschlossen. Damit begann eine
starke Bewegung für Wahlreform in Preußen, d. h. für Beseitigung
des Dreiklassenwahlrechtes. Die Linksliberalen, die ja lange der
einsame Vorkämpfer gewesen waren, schlossen sich kräftig an, und
der ganze Kampf wurde zu einer politischen Frage erster Ordnung.
Die Debatten fluteten in den Reichstag hinüber und erfüllten die
Zeitungen aller Richtungen.
Die Stimmrechtsbewegung kann in einer solchen Zeit nicht
untätig bleiben. Sie ist ja nichts anderes als der Ausdruck des
politischen Willens der Frauen der Nation. Jrgendwie muß
sie Stellung nehmen, irgendeinen Fortschritt muß sie
zu erringen suchen. Die Erfahrungen im Auslande weisen auch
mit Entschiedenheit diesen Weg. Die finnischen und dänischen
Frauen wurden in einer Zeit großer Wahlrechtsreformen voll-
berechtigte Bürger ihres Vaterlandes, in Ungarn wurde in einer
gleichen Zeit eine kraftvolle bürgerliche Stimmrechtsbewegung ge-
boren. Die deutsche Stimmrechtsbewegung konnte zwei Wege
gehen. Sie konnte sich der auf internationalen Kongressen ver-
einbarten Formel bedienen: „Wir fordern das Wahlrecht, das die
Männer haben oder haben werden‟, und sie konnte sich kurz und
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Zitationshilfe: | Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/15>, abgerufen am 16.07.2024. |