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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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entschieden den Forderungen der Demokratie anschließen. Was
nach der zweiten Richtung drängte, ist bereits entwickelt worden.
Etwas Besonderes kam hinzu. Der Deutsche Verband für Frauen-
stimmrecht nahm auch Männer als Mitglieder auf. Nur ganz
vereinzelt tat ein Mann diesen Schritt, in Berlin aber waren
v. Gerlach
und Dr. Breitscheid eingetreten, und beide erlangten
unter den doch politisch noch wenig orientierten Frauen bald einen
großen Einfluß. Beide waren strenge Demokraten, damals noch
linken Flügel des Liberalismus angehörend. Beide erkannten
sofort, daß in der sich immer mehr ausbreitenden Stimmrechts-
bewegung, der zahlreiche intelligente Frauen angehörten, für die
Demokratie eine wichtige Stütze zu gewinnen war und handelten
demgemäß.

So kamen viele Einflüsse zusammen, und alle wirkten doch
nach einer Richtung und führten zu dem entscheidungsvollen Tage
von Frankfurt a. M. - Oktober 1907 -, wo der Deutsche
Verband für Frauenstimmrecht auf seiner General-Versammlung
den Beschluß faßte, die alte neutrale Grundlage der Satzungen zu
verlassen und die Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts
in sein Programm aufzunehmen. Die Fassung des später so viel
umstrittenen Paragraphen lautete:

"Der Verband erstrebt das allgemeine,
gleiche, direkte und geheime aktive, sowie das
passive Wahlrecht für beide Geschlechter zu den
gesetzgebenden Körperschaften und den Organen
der Selbstverwaltung."

Der Verband kämpft also von nun an nicht nur für das
Frauenstimmrecht, sondern auch für Ausdehnung der politischen
Rechte der Männer im demokratischen Sinne.

Sehr merkwürdig aber mutete es an, daß der neue § 3 den
ersten Absatz des alten unverändert beibehielt: "Der
Verband steht nicht auf dem Boden einer bestimmten politischen
Partei oder einer bestimmten Richtung der Frauenbewegung."
Daß dieser Vordersatz blieb und damit ein unlöslicher Wider-
spruch in die Satzungen hineinkam, zeigt, daß die Delegierten, die
dieser Neugestaltung zustimmten, ihre entscheidende Bedeutung
noch nicht übersahen.

Tatsächlich war die Entscheidung gefallen. Der Deutsche
Verband für Frauenstimmrecht hatte sich mit der Demokratie identi-
fiziert. Er stand nun schon fest gegründet da, wohlgerüstet zum
Kampfe. Die Organisation war - bereits 1904 in Erwartung des

entschieden den Forderungen der Demokratie anschließen. Was
nach der zweiten Richtung drängte, ist bereits entwickelt worden.
Etwas Besonderes kam hinzu. Der Deutsche Verband für Frauen-
stimmrecht nahm auch Männer als Mitglieder auf. Nur ganz
vereinzelt tat ein Mann diesen Schritt, in Berlin aber waren
v. Gerlach
und Dr. Breitscheid eingetreten, und beide erlangten
unter den doch politisch noch wenig orientierten Frauen bald einen
großen Einfluß. Beide waren strenge Demokraten, damals noch
linken Flügel des Liberalismus angehörend. Beide erkannten
sofort, daß in der sich immer mehr ausbreitenden Stimmrechts-
bewegung, der zahlreiche intelligente Frauen angehörten, für die
Demokratie eine wichtige Stütze zu gewinnen war und handelten
demgemäß.

So kamen viele Einflüsse zusammen, und alle wirkten doch
nach einer Richtung und führten zu dem entscheidungsvollen Tage
von Frankfurt a. M. – Oktober 1907 –, wo der Deutsche
Verband für Frauenstimmrecht auf seiner General-Versammlung
den Beschluß faßte, die alte neutrale Grundlage der Satzungen zu
verlassen und die Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts
in sein Programm aufzunehmen. Die Fassung des später so viel
umstrittenen Paragraphen lautete:

„Der Verband erstrebt das allgemeine,
gleiche, direkte und geheime aktive, sowie das
passive Wahlrecht für beide Geschlechter zu den
gesetzgebenden Körperschaften und den Organen
der Selbstverwaltung.‟

Der Verband kämpft also von nun an nicht nur für das
Frauenstimmrecht, sondern auch für Ausdehnung der politischen
Rechte der Männer im demokratischen Sinne.

Sehr merkwürdig aber mutete es an, daß der neue § 3 den
ersten Absatz des alten unverändert beibehielt: „Der
Verband steht nicht auf dem Boden einer bestimmten politischen
Partei oder einer bestimmten Richtung der Frauenbewegung.‟
Daß dieser Vordersatz blieb und damit ein unlöslicher Wider-
spruch in die Satzungen hineinkam, zeigt, daß die Delegierten, die
dieser Neugestaltung zustimmten, ihre entscheidende Bedeutung
noch nicht übersahen.

Tatsächlich war die Entscheidung gefallen. Der Deutsche
Verband für Frauenstimmrecht hatte sich mit der Demokratie identi-
fiziert. Er stand nun schon fest gegründet da, wohlgerüstet zum
Kampfe. Die Organisation war – bereits 1904 in Erwartung des

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[16/0016] entschieden den Forderungen der Demokratie anschließen. Was nach der zweiten Richtung drängte, ist bereits entwickelt worden. Etwas Besonderes kam hinzu. Der Deutsche Verband für Frauen- stimmrecht nahm auch Männer als Mitglieder auf. Nur ganz vereinzelt tat ein Mann diesen Schritt, in Berlin aber waren v. Gerlach und Dr. Breitscheid eingetreten, und beide erlangten unter den doch politisch noch wenig orientierten Frauen bald einen großen Einfluß. Beide waren strenge Demokraten, damals noch linken Flügel des Liberalismus angehörend. Beide erkannten sofort, daß in der sich immer mehr ausbreitenden Stimmrechts- bewegung, der zahlreiche intelligente Frauen angehörten, für die Demokratie eine wichtige Stütze zu gewinnen war und handelten demgemäß. So kamen viele Einflüsse zusammen, und alle wirkten doch nach einer Richtung und führten zu dem entscheidungsvollen Tage von Frankfurt a. M. – Oktober 1907 –, wo der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht auf seiner General-Versammlung den Beschluß faßte, die alte neutrale Grundlage der Satzungen zu verlassen und die Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts in sein Programm aufzunehmen. Die Fassung des später so viel umstrittenen Paragraphen lautete: „Der Verband erstrebt das allgemeine, gleiche, direkte und geheime aktive, sowie das passive Wahlrecht für beide Geschlechter zu den gesetzgebenden Körperschaften und den Organen der Selbstverwaltung.‟ Der Verband kämpft also von nun an nicht nur für das Frauenstimmrecht, sondern auch für Ausdehnung der politischen Rechte der Männer im demokratischen Sinne. Sehr merkwürdig aber mutete es an, daß der neue § 3 den ersten Absatz des alten unverändert beibehielt: „Der Verband steht nicht auf dem Boden einer bestimmten politischen Partei oder einer bestimmten Richtung der Frauenbewegung.‟ Daß dieser Vordersatz blieb und damit ein unlöslicher Wider- spruch in die Satzungen hineinkam, zeigt, daß die Delegierten, die dieser Neugestaltung zustimmten, ihre entscheidende Bedeutung noch nicht übersahen. Tatsächlich war die Entscheidung gefallen. Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht hatte sich mit der Demokratie identi- fiziert. Er stand nun schon fest gegründet da, wohlgerüstet zum Kampfe. Die Organisation war – bereits 1904 in Erwartung des  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/16>, abgerufen am 21.11.2024.