Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
nen gelehrten Brief an einen gewissen Lord über das
bekannte: Stultorum plena sunt omnia, und fieng,
nach dem er sich die Gnade dieses Herrn in einem wohl
ausgesonnenen Eingange ausgebeten hatte, die Ab-
handlung seiner Materie auf folgende Art an: Dantur
autem stulti varii generis.
Mein GOtt! wie hat
man nicht über dis dantur autem gespottet. Aus
keiner andern Ursache, als weil man den Zusammen-
hang dieser Worte mit dem vorhergehenden Com-
pliment nicht einsehen konnte.

Mein Brief ist eben der Art, als derjenige, von
welchem ich rede. Jch schreibe ihn nicht an Sie allein;
sondern zugleich an die gantze Welt. Er wird ge-
druckt, und von jederman gelesen. Nur ist dieses zwi-
schen Jhnen und andern Lesern der Unterscheid, daß
ich Jhnen ein Exemplar auf Schreib-Papier zu-
schicke, das sauber eingebunden, und auf den Schnitt
vergüldet ist; andere aber, wenn sie eines haben
wollen, ihren Beutel aufthun müssen. Wie würde es
mir also nicht ergehen, wenn ich, nachdem ich Sie mei-
ner Hochachtung gegen Sie versichert, plötzlich zufah-
ren und sagen wolte: "Die Figuren aber, die ich auf der
"gefrornen Fenster-Scheibe wahrgenommen habe, sind
"seltsam und wunderbar!" Ja würden Sie selbst,
mein Herr, nicht gedencken: Was will der Kerl?

Damit ich nun weder Jhnen noch andern Anlaß
geben möge, über meinen Vortrag zu lachen, so will
ich versuchen, ob es nicht möglich sey, von der Versiche-
rung meiner Hochachtung auf meine gefrorne Fen-
ster-Scheibe zu kommen, ohne einen so gefährlichen
Sprung zu thun, als der erwehnte Scribent in seinem
Schreiben an einen Lord gethan hat, und habe dem-

nach

(o)
nen gelehrten Brief an einen gewiſſen Lord uͤber das
bekannte: Stultorum plena ſunt omnia, und fieng,
nach dem er ſich die Gnade dieſes Herrn in einem wohl
ausgeſonnenen Eingange ausgebeten hatte, die Ab-
handlung ſeiner Materie auf folgende Art an: Dantur
autem ſtulti varii generis.
Mein GOtt! wie hat
man nicht uͤber dis dantur autem geſpottet. Aus
keiner andern Urſache, als weil man den Zuſammen-
hang dieſer Worte mit dem vorhergehenden Com-
pliment nicht einſehen konnte.

Mein Brief iſt eben der Art, als derjenige, von
welchem ich rede. Jch ſchreibe ihn nicht an Sie allein;
ſondern zugleich an die gantze Welt. Er wird ge-
druckt, und von jederman geleſen. Nur iſt dieſes zwi-
ſchen Jhnen und andern Leſern der Unterſcheid, daß
ich Jhnen ein Exemplar auf Schreib-Papier zu-
ſchicke, das ſauber eingebunden, und auf den Schnitt
verguͤldet iſt; andere aber, wenn ſie eines haben
wollen, ihren Beutel aufthun muͤſſen. Wie wuͤrde es
mir alſo nicht ergehen, wenn ich, nachdem ich Sie mei-
ner Hochachtung gegen Sie verſichert, ploͤtzlich zufah-
ren und ſagen wolte: „Die Figuren aber, die ich auf der
„gefrornen Fenſter-Scheibe wahrgenom̃en habe, ſind
„ſeltſam und wunderbar!‟ Ja wuͤrden Sie ſelbſt,
mein Herr, nicht gedencken: Was will der Kerl?

Damit ich nun weder Jhnen noch andern Anlaß
geben moͤge, uͤber meinen Vortrag zu lachen, ſo will
ich verſuchen, ob es nicht moͤglich ſey, von der Verſiche-
rung meiner Hochachtung auf meine gefrorne Fen-
ſter-Scheibe zu kommen, ohne einen ſo gefaͤhrlichen
Sprung zu thun, als der erwehnte Scribent in ſeinem
Schreiben an einen Lord gethan hat, und habe dem-

nach
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0144" n="52"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
nen gelehrten Brief an einen gewi&#x017F;&#x017F;en Lord u&#x0364;ber das<lb/>
bekannte: <hi rendition="#aq">Stultorum plena &#x017F;unt omnia,</hi> und fieng,<lb/>
nach dem er &#x017F;ich die Gnade die&#x017F;es Herrn in einem wohl<lb/>
ausge&#x017F;onnenen Eingange ausgebeten hatte, die Ab-<lb/>
handlung &#x017F;einer Materie auf folgende Art an: <hi rendition="#aq">Dantur<lb/>
autem &#x017F;tulti varii generis.</hi> Mein GOtt! wie hat<lb/>
man nicht u&#x0364;ber dis <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">dantur autem</hi></hi> ge&#x017F;pottet. Aus<lb/>
keiner andern Ur&#x017F;ache, als weil man den Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hang die&#x017F;er Worte mit dem vorhergehenden Com-<lb/>
pliment nicht ein&#x017F;ehen konnte.</p><lb/>
          <p>Mein Brief i&#x017F;t eben der Art, als derjenige, von<lb/>
welchem ich rede. Jch &#x017F;chreibe ihn nicht an Sie allein;<lb/>
&#x017F;ondern zugleich an die gantze Welt. Er wird ge-<lb/>
druckt, und von jederman gele&#x017F;en. Nur i&#x017F;t die&#x017F;es zwi-<lb/>
&#x017F;chen Jhnen und andern Le&#x017F;ern der Unter&#x017F;cheid, daß<lb/>
ich Jhnen ein Exemplar auf Schreib-Papier zu-<lb/>
&#x017F;chicke, das &#x017F;auber eingebunden, und auf den Schnitt<lb/>
vergu&#x0364;ldet i&#x017F;t; andere aber, wenn &#x017F;ie eines haben<lb/>
wollen, ihren Beutel aufthun mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Wie wu&#x0364;rde es<lb/>
mir al&#x017F;o nicht ergehen, wenn ich, nachdem ich Sie mei-<lb/>
ner Hochachtung gegen Sie ver&#x017F;ichert, plo&#x0364;tzlich zufah-<lb/>
ren und &#x017F;agen wolte: &#x201E;Die Figuren aber, die ich auf der<lb/>
&#x201E;gefrornen Fen&#x017F;ter-Scheibe wahrgenom&#x0303;en habe, &#x017F;ind<lb/>
&#x201E;&#x017F;elt&#x017F;am und wunderbar!&#x201F; Ja wu&#x0364;rden Sie &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
mein Herr, nicht gedencken: Was will der Kerl?</p><lb/>
          <p>Damit ich nun weder Jhnen noch andern Anlaß<lb/>
geben mo&#x0364;ge, u&#x0364;ber meinen Vortrag zu lachen, &#x017F;o will<lb/>
ich ver&#x017F;uchen, ob es nicht mo&#x0364;glich &#x017F;ey, von der Ver&#x017F;iche-<lb/>
rung meiner Hochachtung auf meine gefrorne Fen-<lb/>
&#x017F;ter-Scheibe zu kommen, ohne einen &#x017F;o gefa&#x0364;hrlichen<lb/>
Sprung zu thun, als der erwehnte Scribent in &#x017F;einem<lb/>
Schreiben an einen Lord gethan hat, und habe dem-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nach</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0144] (o) nen gelehrten Brief an einen gewiſſen Lord uͤber das bekannte: Stultorum plena ſunt omnia, und fieng, nach dem er ſich die Gnade dieſes Herrn in einem wohl ausgeſonnenen Eingange ausgebeten hatte, die Ab- handlung ſeiner Materie auf folgende Art an: Dantur autem ſtulti varii generis. Mein GOtt! wie hat man nicht uͤber dis dantur autem geſpottet. Aus keiner andern Urſache, als weil man den Zuſammen- hang dieſer Worte mit dem vorhergehenden Com- pliment nicht einſehen konnte. Mein Brief iſt eben der Art, als derjenige, von welchem ich rede. Jch ſchreibe ihn nicht an Sie allein; ſondern zugleich an die gantze Welt. Er wird ge- druckt, und von jederman geleſen. Nur iſt dieſes zwi- ſchen Jhnen und andern Leſern der Unterſcheid, daß ich Jhnen ein Exemplar auf Schreib-Papier zu- ſchicke, das ſauber eingebunden, und auf den Schnitt verguͤldet iſt; andere aber, wenn ſie eines haben wollen, ihren Beutel aufthun muͤſſen. Wie wuͤrde es mir alſo nicht ergehen, wenn ich, nachdem ich Sie mei- ner Hochachtung gegen Sie verſichert, ploͤtzlich zufah- ren und ſagen wolte: „Die Figuren aber, die ich auf der „gefrornen Fenſter-Scheibe wahrgenom̃en habe, ſind „ſeltſam und wunderbar!‟ Ja wuͤrden Sie ſelbſt, mein Herr, nicht gedencken: Was will der Kerl? Damit ich nun weder Jhnen noch andern Anlaß geben moͤge, uͤber meinen Vortrag zu lachen, ſo will ich verſuchen, ob es nicht moͤglich ſey, von der Verſiche- rung meiner Hochachtung auf meine gefrorne Fen- ſter-Scheibe zu kommen, ohne einen ſo gefaͤhrlichen Sprung zu thun, als der erwehnte Scribent in ſeinem Schreiben an einen Lord gethan hat, und habe dem- nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/144
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/144>, abgerufen am 23.11.2024.