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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
Jch tadele ihre Bemühung nicht. Sie thun es, wie
sie vorgeben, zu GOttes Ehren; sie wollen die Men-
schen zur Bewunderung der Göttlichen Weisheit
aufmuntern. Jhr Zweck ist löblich: Aber sie wer-
den dann auch so gütig seyn, und mir erlauben, daß ich
zu eben dem Ende meine Betrachtungen über Dinge
anstelle, dieich derselben würdig achte.

Meine gefrorne Fenster-Scheibe ist gewiß so be-
schaffen, daß alle ihre schöne Raritäten, und alles,
was sie darüber schwatzen und schreiben, gegen diesel-
be und meine Betrachtungen, aufs bescheidenste da-
von zu reden, eitel Kinderspiel und Thorheit ist. Man
sehe nur ihre wunderbaren Steine und andere schöne
Sachen an, so wird man finden, daß die Einbildungs-
Krafft des Beschauers der Natur zu Hülffe kommen
müsse, um die Figuren hervor zu bringen, welche der
sinnreiche Naturkündiger, der sich breit damit macht,
darauf entdecket. Gewiß, viele dieser Seher gemah-
nen mich nicht viel anders, als die Bauren, die beym
Untergang der Sonnen offt streitende Krieges-Heere,
Türcken-Köpffe, Thiere, und ich weiß nicht was in
den Wolcken erblicken. Denn wie diese Heere, diese
Köpffe, diese Thiere nur in dem Gehirn des phantasi-
renden Bauren zu finden sind, so haben auch die mei-
sten Seltenheiten unserer Forscher ihren Grund in ei-
ner starcken, und von einer unbändigen Begierde,
Wunder-Dinge zu erzehlen, in Unordnung gebrach-
ten Einbildungs-Krafft. Und wenn dann ja die selte-
nen und wunderbaren Figuren, so man der Welt zur
Bewunderung darstellet, würcklich ausser der Phan-
tasie des Naturkündigers vorhanden sind; so sind sie
doch gemeiniglich so klein, daß man nothwendig ein

Ver-
D 4

(o)
Jch tadele ihre Bemuͤhung nicht. Sie thun es, wie
ſie vorgeben, zu GOttes Ehren; ſie wollen die Men-
ſchen zur Bewunderung der Goͤttlichen Weisheit
aufmuntern. Jhr Zweck iſt loͤblich: Aber ſie wer-
den dann auch ſo guͤtig ſeyn, und mir erlauben, daß ich
zu eben dem Ende meine Betrachtungen uͤber Dinge
anſtelle, dieich derſelben wuͤrdig achte.

Meine gefrorne Fenſter-Scheibe iſt gewiß ſo be-
ſchaffen, daß alle ihre ſchoͤne Raritaͤten, und alles,
was ſie daruͤber ſchwatzen und ſchreiben, gegen dieſel-
be und meine Betrachtungen, aufs beſcheidenſte da-
von zu reden, eitel Kinderſpiel und Thorheit iſt. Man
ſehe nur ihre wunderbaren Steine und andere ſchoͤne
Sachen an, ſo wird man finden, daß die Einbildungs-
Krafft des Beſchauers der Natur zu Huͤlffe kommen
muͤſſe, um die Figuren hervor zu bringen, welche der
ſinnreiche Naturkuͤndiger, der ſich breit damit macht,
darauf entdecket. Gewiß, viele dieſer Seher gemah-
nen mich nicht viel anders, als die Bauren, die beym
Untergang der Sonnen offt ſtreitende Krieges-Heere,
Tuͤrcken-Koͤpffe, Thiere, und ich weiß nicht was in
den Wolcken erblicken. Denn wie dieſe Heere, dieſe
Koͤpffe, dieſe Thiere nur in dem Gehirn des phantaſi-
renden Bauren zu finden ſind, ſo haben auch die mei-
ſten Seltenheiten unſerer Forſcher ihren Grund in ei-
ner ſtarcken, und von einer unbaͤndigen Begierde,
Wunder-Dinge zu erzehlen, in Unordnung gebrach-
ten Einbildungs-Krafft. Und wenn dann ja die ſelte-
nen und wunderbaren Figuren, ſo man der Welt zur
Bewunderung darſtellet, wuͤrcklich auſſer der Phan-
taſie des Naturkuͤndigers vorhanden ſind; ſo ſind ſie
doch gemeiniglich ſo klein, daß man nothwendig ein

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[55/0147] (o) Jch tadele ihre Bemuͤhung nicht. Sie thun es, wie ſie vorgeben, zu GOttes Ehren; ſie wollen die Men- ſchen zur Bewunderung der Goͤttlichen Weisheit aufmuntern. Jhr Zweck iſt loͤblich: Aber ſie wer- den dann auch ſo guͤtig ſeyn, und mir erlauben, daß ich zu eben dem Ende meine Betrachtungen uͤber Dinge anſtelle, dieich derſelben wuͤrdig achte. Meine gefrorne Fenſter-Scheibe iſt gewiß ſo be- ſchaffen, daß alle ihre ſchoͤne Raritaͤten, und alles, was ſie daruͤber ſchwatzen und ſchreiben, gegen dieſel- be und meine Betrachtungen, aufs beſcheidenſte da- von zu reden, eitel Kinderſpiel und Thorheit iſt. Man ſehe nur ihre wunderbaren Steine und andere ſchoͤne Sachen an, ſo wird man finden, daß die Einbildungs- Krafft des Beſchauers der Natur zu Huͤlffe kommen muͤſſe, um die Figuren hervor zu bringen, welche der ſinnreiche Naturkuͤndiger, der ſich breit damit macht, darauf entdecket. Gewiß, viele dieſer Seher gemah- nen mich nicht viel anders, als die Bauren, die beym Untergang der Sonnen offt ſtreitende Krieges-Heere, Tuͤrcken-Koͤpffe, Thiere, und ich weiß nicht was in den Wolcken erblicken. Denn wie dieſe Heere, dieſe Koͤpffe, dieſe Thiere nur in dem Gehirn des phantaſi- renden Bauren zu finden ſind, ſo haben auch die mei- ſten Seltenheiten unſerer Forſcher ihren Grund in ei- ner ſtarcken, und von einer unbaͤndigen Begierde, Wunder-Dinge zu erzehlen, in Unordnung gebrach- ten Einbildungs-Krafft. Und wenn dann ja die ſelte- nen und wunderbaren Figuren, ſo man der Welt zur Bewunderung darſtellet, wuͤrcklich auſſer der Phan- taſie des Naturkuͤndigers vorhanden ſind; ſo ſind ſie doch gemeiniglich ſo klein, daß man nothwendig ein Ver- D 4

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/147>, abgerufen am 22.11.2024.