Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
alt war, nach Cambridge. Jch weiß nicht warum.
Denn man will vor gewiß sagen, daß er sich schon seit
seinem 12ten Jahre nicht undeutlich mercken lassen,
daß er mit der gemeinen Art zu studiren nicht zufrieden
sey, und es als eine grosse Thorheit ansähe, daß man
die schönste Zeit des menschlichen Lebens mit einem
verdrießlichen Lernen zubrächte, die man mit mehrerm
Ruhm anwenden könte, andere zu lehren. Jch weiß
nicht, ob sich dieses so verhält: So viel weiß ich, daß er
seine Lehrer zu Cambridge nicht vor würdig gehalten,
das Geringste von ihnen zu lernen. Ein so ausseror-
dentlicher Kopf brauchte keines Unterrichts. Er
war klüger, als sie alle, und fieng sein Studiren da
an, wo andere Gelehrte aufhören.

Es fand sich zu der Zeit die, allen rechtschaffenen
Gelehrten so nöthige Dreistigkeit, bey ihm ein. Er
schrieb demnach Bücher, und zeigte also, daß es gros-
sen Köpfen ein leichtes, auch ohne etwas gelernet zu
haben, von allerhand Materien die schönsten Sachen
zu schreiben. Oxford war der Ort, da er anfieng sich
hervor zu thun. Er that es mit sonderlichem Glücke,
und alles, was er anfieng, gieng ihm um so viel besser
von statten, je weniger er in seiner Arbeit von der ver-
drießlichen Eigenschafft des Verstandes, welche man
die Beurtheilungs-Krafft nennet, beunruhiget und
gehindert wurde.

Diese glückselige Beschaffenheit seines Gemüths
machte, daß die gelehrte Welt mit einer vortreflichen
Schrift nach der andern beschencket, und in die äus-
serste Bestürtzung gesetzet wurde. Niemand war fä-
hig zu begreiffen, woher einem so jungen Menschen
die Weisheit gekommen, und jederman wunderte

sich,

(o)
alt war, nach Cambridge. Jch weiß nicht warum.
Denn man will vor gewiß ſagen, daß er ſich ſchon ſeit
ſeinem 12ten Jahre nicht undeutlich mercken laſſen,
daß er mit der gemeinen Art zu ſtudiren nicht zufrieden
ſey, und es als eine groſſe Thorheit anſaͤhe, daß man
die ſchoͤnſte Zeit des menſchlichen Lebens mit einem
verdrießlichen Lernen zubraͤchte, die man mit mehrerm
Ruhm anwenden koͤnte, andere zu lehren. Jch weiß
nicht, ob ſich dieſes ſo verhaͤlt: So viel weiß ich, daß er
ſeine Lehrer zu Cambridge nicht vor wuͤrdig gehalten,
das Geringſte von ihnen zu lernen. Ein ſo auſſeror-
dentlicher Kopf brauchte keines Unterrichts. Er
war kluͤger, als ſie alle, und fieng ſein Studiren da
an, wo andere Gelehrte aufhoͤren.

Es fand ſich zu der Zeit die, allen rechtſchaffenen
Gelehrten ſo noͤthige Dreiſtigkeit, bey ihm ein. Er
ſchrieb demnach Buͤcher, und zeigte alſo, daß es groſ-
ſen Koͤpfen ein leichtes, auch ohne etwas gelernet zu
haben, von allerhand Materien die ſchoͤnſten Sachen
zu ſchreiben. Oxford war der Ort, da er anfieng ſich
hervor zu thun. Er that es mit ſonderlichem Gluͤcke,
und alles, was er anfieng, gieng ihm um ſo viel beſſer
von ſtatten, je weniger er in ſeiner Arbeit von der ver-
drießlichen Eigenſchafft des Verſtandes, welche man
die Beurtheilungs-Krafft nennet, beunruhiget und
gehindert wurde.

Dieſe gluͤckſelige Beſchaffenheit ſeines Gemuͤths
machte, daß die gelehrte Welt mit einer vortreflichen
Schrift nach der andern beſchencket, und in die aͤuſ-
ſerſte Beſtuͤrtzung geſetzet wurde. Niemand war faͤ-
hig zu begreiffen, woher einem ſo jungen Menſchen
die Weisheit gekommen, und jederman wunderte

ſich,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0170" n="78"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
alt war, nach Cambridge. Jch weiß nicht warum.<lb/>
Denn man will vor gewiß &#x017F;agen, daß er &#x017F;ich &#x017F;chon &#x017F;eit<lb/>
&#x017F;einem 12ten Jahre nicht undeutlich mercken la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß er mit der gemeinen Art zu &#x017F;tudiren nicht zufrieden<lb/>
&#x017F;ey, und es als eine gro&#x017F;&#x017F;e Thorheit an&#x017F;a&#x0364;he, daß man<lb/>
die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Zeit des men&#x017F;chlichen Lebens mit einem<lb/>
verdrießlichen Lernen zubra&#x0364;chte, die man mit mehrerm<lb/>
Ruhm anwenden ko&#x0364;nte, andere zu lehren. Jch weiß<lb/>
nicht, ob &#x017F;ich die&#x017F;es &#x017F;o verha&#x0364;lt: So viel weiß ich, daß er<lb/>
&#x017F;eine Lehrer zu Cambridge nicht vor wu&#x0364;rdig gehalten,<lb/>
das Gering&#x017F;te von ihnen zu lernen. Ein &#x017F;o au&#x017F;&#x017F;eror-<lb/>
dentlicher Kopf brauchte keines Unterrichts. Er<lb/>
war klu&#x0364;ger, als &#x017F;ie alle, und fieng &#x017F;ein Studiren da<lb/>
an, wo andere Gelehrte aufho&#x0364;ren.</p><lb/>
          <p>Es fand &#x017F;ich zu der Zeit die, allen recht&#x017F;chaffenen<lb/>
Gelehrten &#x017F;o no&#x0364;thige Drei&#x017F;tigkeit, bey ihm ein. Er<lb/>
&#x017F;chrieb demnach Bu&#x0364;cher, und zeigte al&#x017F;o, daß es gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Ko&#x0364;pfen ein leichtes, auch ohne etwas gelernet zu<lb/>
haben, von allerhand Materien die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Sachen<lb/>
zu &#x017F;chreiben. Oxford war der Ort, da er anfieng &#x017F;ich<lb/>
hervor zu thun. Er that es mit &#x017F;onderlichem Glu&#x0364;cke,<lb/>
und alles, was er anfieng, gieng ihm um &#x017F;o viel be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
von &#x017F;tatten, je weniger er in &#x017F;einer Arbeit von der ver-<lb/>
drießlichen Eigen&#x017F;chafft des Ver&#x017F;tandes, welche man<lb/>
die Beurtheilungs-Krafft nennet, beunruhiget und<lb/>
gehindert wurde.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e glu&#x0364;ck&#x017F;elige Be&#x017F;chaffenheit &#x017F;eines Gemu&#x0364;ths<lb/>
machte, daß die gelehrte Welt mit einer vortreflichen<lb/>
Schrift nach der andern be&#x017F;chencket, und in die a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er&#x017F;te Be&#x017F;tu&#x0364;rtzung ge&#x017F;etzet wurde. Niemand war fa&#x0364;-<lb/>
hig zu begreiffen, woher einem &#x017F;o jungen Men&#x017F;chen<lb/>
die Weisheit gekommen, und jederman wunderte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ich,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0170] (o) alt war, nach Cambridge. Jch weiß nicht warum. Denn man will vor gewiß ſagen, daß er ſich ſchon ſeit ſeinem 12ten Jahre nicht undeutlich mercken laſſen, daß er mit der gemeinen Art zu ſtudiren nicht zufrieden ſey, und es als eine groſſe Thorheit anſaͤhe, daß man die ſchoͤnſte Zeit des menſchlichen Lebens mit einem verdrießlichen Lernen zubraͤchte, die man mit mehrerm Ruhm anwenden koͤnte, andere zu lehren. Jch weiß nicht, ob ſich dieſes ſo verhaͤlt: So viel weiß ich, daß er ſeine Lehrer zu Cambridge nicht vor wuͤrdig gehalten, das Geringſte von ihnen zu lernen. Ein ſo auſſeror- dentlicher Kopf brauchte keines Unterrichts. Er war kluͤger, als ſie alle, und fieng ſein Studiren da an, wo andere Gelehrte aufhoͤren. Es fand ſich zu der Zeit die, allen rechtſchaffenen Gelehrten ſo noͤthige Dreiſtigkeit, bey ihm ein. Er ſchrieb demnach Buͤcher, und zeigte alſo, daß es groſ- ſen Koͤpfen ein leichtes, auch ohne etwas gelernet zu haben, von allerhand Materien die ſchoͤnſten Sachen zu ſchreiben. Oxford war der Ort, da er anfieng ſich hervor zu thun. Er that es mit ſonderlichem Gluͤcke, und alles, was er anfieng, gieng ihm um ſo viel beſſer von ſtatten, je weniger er in ſeiner Arbeit von der ver- drießlichen Eigenſchafft des Verſtandes, welche man die Beurtheilungs-Krafft nennet, beunruhiget und gehindert wurde. Dieſe gluͤckſelige Beſchaffenheit ſeines Gemuͤths machte, daß die gelehrte Welt mit einer vortreflichen Schrift nach der andern beſchencket, und in die aͤuſ- ſerſte Beſtuͤrtzung geſetzet wurde. Niemand war faͤ- hig zu begreiffen, woher einem ſo jungen Menſchen die Weisheit gekommen, und jederman wunderte ſich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/170
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/170>, abgerufen am 31.10.2024.